The Project Gutenberg EBook of Candida, by George Bernard Shaw Copyright laws are changing all over the world. Be sure to check the copyright laws for your country before downloading or redistributing this or any other Project Gutenberg eBook. This header should be the first thing seen when viewing this Project Gutenberg file. Please do not remove it. Do not change or edit the header without written permission. Please read the "legal small print," and other information about the eBook and Project Gutenberg at the bottom of this file. Included is important information about your specific rights and restrictions in how the file may be used. You can also find out about how to make a donation to Project Gutenberg, and how to get involved. **Welcome To The World of Free Plain Vanilla Electronic Texts** **eBooks Readable By Both Humans and By Computers, Since 1971** *****These eBooks Were Prepared By Thousands of Volunteers!***** Title: Candida Author: George Bernard Shaw Release Date: December, 2005 [EBook #9491] [This file was first posted on October 5, 2003] Edition: 10 Language: German Character set encoding: US-ASCII *** START OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, CANDIDA *** E-text prepared by Michalina Makowska This Etext is in German. We are releasing two versions of this Etext, one in 7-bit format, known as Plain Vanilla ASCII, which can be sent via plain email-- and one in 8-bit format, which includes higher order characters-- which requires a binary transfer, or sent as email attachment and may require more specialized programs to display the accents. This is the 7-bit version. CANDIDA Ein Mysterium in drei Akten George Bernard Shaw Uebersetzt von Siegfried Trabitsch PERSONEN Pastor Jakob Morell Candida, seine Frau Burgess, ihr Vater Alexander Mill, Unterpfarrer Proserpina Garnett, Maschinenschreiberin Eugen Marchbanks, ein junger Dichter Ort der Handlung: Die St. Dominikpfarre, Viktoriapark, London E. Zeit: Oktober 1894. ERSTER AKT (Ein schoener Oktobermorgen im nordoestlichen Viertel Londons. In diesem ausgedehnten Bezirk sind die Seitengaesschen viel weniger schmal, schmutzig, uebelriechend und stickig als in dem viele Meilen entfernten London von Mayfair und St. James. Hier spielt sich besonders das unelegante Leben der Mittelklassen ab. Die breiten, dichtbevoelkerten Strassen sind mit haesslichen eisernen Beduerfnisanstalten, radikalen Klubs und Trambahnlinien, auf denen Ketten von gelben Wagen endlos einziehen, reichlich versehn. Doch sind die Hauptverkehrsadern mit grasbewachsenen Vorgaertchen verziert, von denen man nur den kleinen Streifen betritt, der vom Pfoertchen zur Haustuer fuehrt. Jene Strassen werden durch die stumm geduldete Eintoenigkeit sich meilenweit erstreckender haesslicher Ziegelbauten, schwarzer Eisengitter, Steinpflaster und Schieferdaecher arg entstellt. Anstaendig aber unmodern oder gemein und aermlicb gekleidete Leute, die an dieses Viertel gewoehnt sind und sich zumeist in aufreibender Weise fuer andere plagen muessen, ohne sich fuer ihre Arbeit zu interessieren, bilden ihre Bewohner. Das bisschen ihnen gebliebene Energie und Eifer gipfelt in der Habgier des Londoner Cockneys und in der Begierde, ihr Geschaeft vorwaerts zu bringen. Selbst die Schutzleute und die Kapellen sind nicht selten genug, die Eintoenigkeit zu unterbrechen. Die Sonne scheint klar, es ist nicht neblig, und obgleich der Rauch sowohl die Gesichter und Haende als auch die Mauern aus Ziegelstein und Moertel verhindert, frisch und rein zu sein, so ist er doch nicht schwarz und schwer genug, um einen Londoner zu belaestigen.) (Diese reizlose Wueste hat ihre Oase. Am aeussersten Ende der Hackneystrasse ist ein durch ein hoelzernes Pfahlwerk abgeschlossener Park von 270 Morgen angelegt. Er enthaelt Rasenplaetze, Baeume, einen Teich zum Baden, Blumenbeete, die Triumphe der vielbewunderten Cockney-Kunst der Teppichgaertnerei sind, und eine Sandgrube, die urspruenglich zur Belustigung der Kinder vom Meeresufer importiert, aber schleunigst verlassen wurde, als sie sich in eine natuerliche Ungezieferbrutstaette fuer die ganz kleine Fauna von Kingsland, Hackney und Hoxton verwandelte. Ein Orchester, ein kleines Forum fuer religioese, antireligioese und politische Redner, Cricketplaetze, ein Turnplatz und ein altmodischer Steinkiosk bilden die Hauptanziehungspunkte. Wo die Aussicht von Baeumen oder gruenen Anhoehen begrenzt wird, ist es ein huebscher Aufenthaltsort. Wo sich aber der Boden flach bis zu dem grauen Lattenzaun hinzieht und man Ziegel und Moertel, Reklameschilder, zusammengedraengte Schornsteine und Rauch gewahrt muss die Gegend (im Jahre 1894), trostlos und haesslich genannt werden.) (Die beste Aussicht auf den Viktoriapark gewinnt man von den Frontfenstern der St. Dominikpfarre; von dort sieht man auf keinerlei Mauerwerk. Das Pfarrhaus steht halb frei, mit einem Vorgarten und einer Vorhalle. Besucher benuetzen die Stufen, die auf die Veranda fuehren, Geschaeftsleute und Familienmitglieder geben durch eine Tuer unterhalb der Treppe in das Erdgeschoss, wo ein Fruehstueckszimmer nach vorne liegt, das zu allen Mahlzeiten dient; die Kueche liegt hinten. Oben, auf einem Niveau mit der Flurtuer, befindet sich das Empfangszimmer mit seinem breiten Fenster aus geschliffenem Glas, das auf den Park hinausfuehrt.) (Hier, in dem einzigen Raume, der von den Familienmahlzeiten und den Kindern verschont bleibt, vollbringt der Pfarrer, Reverend Jakob Mavor Morell, sein Tagewerk. Er sitzt in einem starken drehbaren Stuhl mit runder Lehne am Ende eines langen Tisches, der dem Fenster gegenuebersteht, so dass er sich durch einen Blick ueber die linke Schulter an der Aussicht auf den Park erfreuen kann. Am Ende des Tisches, an diesen anstossend, befindet sich ein zweiter Tisch, der nur halb so breit ist und eine Schreibmaschine traegt.--Seine Schreiberin sitzt davor mit dem Ruecken gegen das Fenster. Der grosse Tisch ist unordentlich mit Zeitungen, Broschueren, Briefen, Schubladeeinsaetzen, einem Notizheft, einer Briefwage und aehnlichen Dingen bedeckt. In der Mitte steht ein uebriger Stuhl fuer die Besucher, die mit dem Pfarrer geschaeftlich zu tun haben. Seiner Hand erreichbar steht eine Papierkassette und eine Photographie in einem Rahmen. Die Wand hinter ihm ist mit Buecherregalen zugestellt. Die theologische Richtung des Pfarrers kann ein Sachverstaendiger an: Maurices "Theologischen Essays" und einer vollstaendigen Ausgabe der Browningschen Gedichte erkennen, seine politischen Reformideen an einem gelbrueckigen Band "Fortschritt und Armut", den "Essays der Fabier", dem "Traum John Bulls" von William Morris, dem "Kapital" von Marx und einem halben Dutzend anderer grundlegender sozialistischer Buecher. Dem Pfarrer gegenueber, auf der andern Seite des Zimmers in der Naehe der Schreibmaschine, ist die Tuer. Weiter hinten, dem Kamin gegenueber, steht ein Buecherbrett auf einem Spind, daneben ein Sofa. Ein starkes Feuer brennt im Kamin und davor steht ein bequemer Lehnstuhl, ferner ein schwarz lackierter, blumenbemalter Kohleneimer auf der einen Seite und ein Kindersessel fuer einen Knaben oder ein Maedchen auf der anderen. Der hoelzerne Kaminsims ist lackiert, und in den kleinen Feldern der nett geformten Faecher sind winzige Spiegelglaeser eingelegt, und eine Reiseuhr in einem Lederetui (das unvermeidliche Hochzeitsgeschenk) steht darauf. An der Wand darueber haengt eine grosse Autotypie der Hauptfigur aus Tizians Assunta. So sieht der Kamin sehr einladend aus. Im ganzen gesehen ist es das Zimmer einer guten Hausfrau, die, was des Pastors Arbeitstisch betrifft, an etwas Unordnung gewoehnt ist, aber trotzdem die Situation vollkommen beherrscht. Die Einrichtung verraet in ihrem ornamentalen Aussehen den Stil der in den Zeitungen annoncierten "Saloneinrichtung" des unternehmenden Vorstadtmoebelhaendlers; aber es ist nichts Zweckloses oder Aufdringliches in dem Zimmer. Die Tapeten und die Taefelung sind dunkel und lassen das grosse helle Fenster und den Park draussen kraeftig hervortreten.) (Hochwuerden Jakob Mavor Morell ist ein christlich-sozialer Geistlicher der anglikanischen Kirche und ein aktives Mitglied der Gilde von "Sankt Matthaeus" und der "Christlich Socialen Union". Ein starker, freundlicher, allgemein geachteter Mann von vierzig fahren, kraeftig und huebsch, voll Energie und mit liebenswuerdigen, herzlichen, ruecksichtsvollen Manieren, mit einer gesunden, natuerlichen Stimme, die er mit der wirkungsvollen Betonung eines geuebten Redners benutzt. Er verfuegt ueber einen grossen Wortschatz, den er vollkommen beherrscht. Er ist ein vorzueglicher Geistlicher, faehig, was er will zu wem er will zu sagen und die Leute abzukanzeln, ohne sich ueber sie zu aergern, ihnen seine Autoritaet aufzudraengen, ohne sie zu demuetigen und, wenn es sein muss, sich in ihre Angelegenheiten zu mischen, ohne dabei zu verletzen. Die Quelle seiner Begeisterung und seines Mitgefuehls versiegt niemals auch nur fuer einen Augenblick; er isst und schlaeft noch immer ausgiebig genug, um die taegliche Schlacht zwischen Erschoepfung und Erholung glaenzend zu gewinnen. Dabei ist er ein grosses Kind, verzeihlicherweise eitel auf seine Faehigkeiten und unbewust selbstgefaellig. Er hat eine gesunde Gesichtsfarbe, eine schoene Stirn mit etwas plumpen Augenbrauen, glaenzende und lebhafte Augen, einen energischen Mund, der nicht besonders schoen geschnitten ist, und eine kraeftige Nase mit den beweglichen, sich blaehenden Nasenfluegeln des dramatischen Redners, die aber wie alle seine Zuege der Feinheit entbehrt.) (Die Maschinenschreiberin, Fraeulein Proserpina Garnett, ist eine flinke kleine Person von ungefaehr dreissig Jahren, sie gehoert der unteren Mittelklasse an, ist nett, aber billig mit einem schwarzen Wollrock und einer Bluse bekleidet, ziemlich vorlaut und naseweis und nicht sehr hoeflich in ihrem Benehmen, aber empfindungsfaehig und teilnahmsvoll. Sie klappert emsig auf ihrer Maschine drauf los, waehrend Morell den letzten Brief seiner Morgenpost oeffnet. Er durchfliegt seinen Inhalt mit einem komischen Stoehnen der Verzweiflung.) (Proserpina.) Wieder ein Vortrag? (Morell.) Ja. Ich soll naechsten Sonntagvormittag fuer die Freiheitsgruppe von Hoxton sprechen. (Er betont mit grosser Wichtigkeit "Sonntag", weil das der unvernuenftige Teil des Verlangens ist.) Was sind das fuer Leute? (Proserpina.) Ich glaube, kommunistische Anarchisten. (Morell.) Es sieht den Anarchisten aehnlich, nicht zu wissen, dass sie am Sonntag keinen Pastor haben koennen. Schreiben Sie ihnen, sie sollen in die Kirche kommen, wenn sie mich hoeren wollen, das kann ihnen nicht schaden! Und fuegen Sie hinzu, dass ich nur Montags und Donnerstags frei bin. Haben Sie das Vormerkbuch da? (Proserpina hebt das Vormerkbuch auf:) Ja! (Morell.) Ist irgendeine Vorlesung fuer naechsten Montag angesetzt? (Proserpina im Vormerkbuch nachschlagend:) Der radikale Klub von Tower Hamlet. (Morell) Nun, und Donnerstag? (Proserpina.) Die englische Bodenreform-Liga. (Morell.) Was dann? (Proserpina.) In der Gilde von Sankt Matthaeus am Montag. In der unabhaengigen Arbeitervereinigung, Abteilung Greenwich, am Donnerstag; am Montag darauf in der soziademokratischen Foederation, Abteilung Mile End; am folgenden Donnerstag ist die erste Konfirmationsklasse. (Ungeduldig:) Ach, ich will lieber schreiben, dass Sie ueberhaupt nicht kommen koennen; es sind doch nur ein halbes Dutzend unwissende und eingebildete Hausierer, die miteinander keine fuenf Schilling haben. (Morell belustigt:) Ah, aber bedenken Sie, es sind nahe Verwandte von mir, Fraeulein Garnett. (Proserpina ihn anstarrend:) Verwandte von Ihnen? (Morell.) Ja! Wir haben denselben Vater--im Himmel. (Proserpina erleichtert:) Oh, weiter nichts? (Morell mit einer Melancholie, die einem Manne Genuss ist, dessen Stimme sie schon so schoen auszudruecken vermag:) Ah, Sie glauben das auch nicht,--jedermann sagt es, niemand glaubt es, niemand! (Schnell zu seinem Gegenstande zurueckkehrend:) Gut, gut! Na, Fraeulein Proserpina, koennen Sie keinen Tag fuer die Hausierer finden, wie ist's mit dem fuenfundzwanzigsten,--der war noch vorgestern frei. (Proserpina aus dem Vormerkbuch:) Auch vergeben--an die Fabier. (Morell.) Hol' der Geier die Fabier! Ist der achtundzwanzigste gleichfalls vergeben? (Proserpina.) Bankett in der City. Sie sind von den Huettenbesitzern zum Speisen eingeladen. (Morell.) Das geht, ich werde eben statt dessen nach Hoxton gehen. (Sie traegt diese Verpflichtung schweigend ein, mit unerschuetterlicher Verachtung gegen diese Hoxtoner Anarchisten, die sich in jeder Linie ihres Gesichtes spiegelt. Morell reisst das Streifband eines Exemplars des "Church Reformer" ab, das mit der Post angekommen ist, und ueberfliegt den Leitartikel Stewart Hedlams und die Mitteilungen der Gilde von Sankt Matthaeus. Diese Vorgaenge werden alsbald durch das Erscheinen des Unterpfarrers Morells, Alexander Mill, unterbrochen. Er ist ein junger Mensch, den Morell von der naechsten Missionstelle der Universitaet bezogen hat, wohin er von Oxford gekommen war, um dem East-End von London die Wohltat seiner akademischen Bildung angedeihen zu lassen. Er ist ein eingebildeter, gutgesinnter, unreifer Mann, von enthusiastischer Natur. Nichts absolut Unausstehliches ist in seinem Wesen ausser der Gewohnheit, um eine gezierte Sprache zu erzielen, mit sorgsam geschlossenen Lippen zu reden und eine Menge Vokale schlecht auszusprechen, als ob dies das Hauptmittel waere, die Bildung Oxfords unter den Poebel Hackneys zu tragen.) (Morell, den er durch eine huendische Unterwuerfigkeit fuer sich gewann, blickt nachsichtig von seiner Lektuere im "Church Reformer" auf und bemerkt:) Nun, Lexi, wieder verschlafen, wie gewoehnlich? (Mill.) Leider ja. Ich wollte, ich koennte des Morgens leichter aufstehen. (Morell freut sich der eigenen Energie:) Ha, ha! (launig:) "Wache und bete", Lexi, "wache und bete". (Mill.) Ich weiss. (Er benuetzt diese Gelegenheit sofort, um einen Witz zu machen.) Aber wie kann ich wachen und beten, wenn ich schlafe; --hab' ich nicht recht, Fraeulein Prossi? (Proserpina scharf:) Fraeulein Garnett, wenn ich bitten darf. (Mill.) Entschuldigen Sie, Fraeulein Garnett. (Proserpina.) Sie muessen heute alle Arbeit allein erledigen. (Mill.) Warum? (Proserpina.) Fragen Sie nicht, warum. Es wird Ihnen wohl bekommen, Ihr Abendbrot einmal zu verdienen, bevor Sie es essen, wie ich es taeglich tue. Los, troedeln Sie nicht. Sie sollten schon seit einer halben Stunde unterwegs sein. (Mill starr:) Spricht sie im Ernst, Herr Pastor? (Morell in bester Laune--seine Augen glaenzen:) Ja. Heute werd' ich einmal bummeln. (Mill.) Sie? Sie wissen ja nicht, wie man das macht. (Morell herzlich:) Ha, ha! Weissichdasnicht? Diesen Tag will ich ganz fuer mich haben, oder doch wenigstens den Vormittag! Meine Frau kommt naemlich zurueck, um elf Uhr fuenfundvierzig soll sie hier eintreffen. (Mill erstaunt:) Schon zurueck--mit den Kindern? Ich dachte, sie wollte bis Ende des Monats fortbleiben. (Morell.) So ist es. Sie kommt nur fuer zwei Tage her, um fuer Jimmy etwas Flanellwaesche einzukaufen und um zu sehen, wie wir hier ohne sie fertig werden. (Mill aengstlich:) Aber lieber Herr Morell, wenn das, was Jimmy und Flussy gefehlt hat, wirklich Scharlach war, halten Sie es fuer klug?-- (Morell.) Unsinn, Scharlach! Masern waren es, ich habe sie selbst von der Pycroftstrasse aus der Schule nach Hause gebracht; ein Pastor ist wie ein Arzt, mein Lieber, er muss der Ansteckung ins Auge sehen koennen wie ein Soldat den Kugeln. (Er erbebt sich und schlaegt Mill auf die Schultern.) Trachten Sie, Masern zu bekommen, wenn Sie koennen; Candida wird Sie dann pflegen, und was fuer ein Gluecksfall waere das fuer Sie, --was? (Mill unsicher laechelnd:) Es ist schwer, Sie zu verstehen, wenn Sie ueber Frau Morell sprechen.-- (Morell weich:) Mein lieber Junge, seien Sie erst verheiratet! Verheiratet mit einer guten Frau, und dann werden Sie mich verstehen. Es ist ein Vorgeschmack von dem Besten, was uns in dem himmlischen Reich erwartet, das wir uns auf Erden zu gruenden versuchen. Dann werden Sie sich schon das Bummeln abgewoehnen! Ein braver Mann fuehlt, dass er dem Himmel fuer jede Stunde des Gluecks ein hartes Stueck selbstloser Arbeit zum Wohle seiner Mitmenschen schuldig ist. Wir haben ebensowenig das Recht, Glueck zu verbrauchen, ohne es zu erzeugen, als Reichtum zu verbrauchen, ohne ihn zu erwerben. Suchen Sie sich eine Frau wie meine Candida, und Sie werden immer Schuldner sein, wieviel Sie auch abzahlen. (Er klopft Mill liebevoll auf den Ruecken und ist im Begriff, das Zimmer zu verlassen, als Mill ihn zurueckruft.) (Mill.) Oh, warten Sie einen Augenblick, ich vergass... (Morell bleibt stehen und wendet sich um, die Tuerklinke in der Hand.) Ihr Herr Schwiegervater wird hierherkommen, er hat mit Ihnen zu sprechen. (Morell schliesst die Tuer wieder, mit vollkommen veraendertem Wesen.) (Morell ueberrascht und nicht erfreut:) Burgess? (Mill.) Ja! Ich traf ihn mit jemandem im Park, in eifrigem Gespraech. Er sprach mich an und bat mich, Sie wissen zu lassen, dass er hierherkommt. (Moroll halb unglaeubig:) Aber er ist seit Jahren nicht hier gewesen. Sind Sie sicher, Lexi? Sie scherzen doch nicht etwa?-- (Mill ernst:) Nein, Herr Pastor, ganz bestimmt nicht! (Morell nachdenklich:) Hm, hm, er haelt es an der Zeit, sich wieder einmal nach Candida umzusehen, ehe sie gaenzlich aus seinem Gedaechtnis verschwindet. (Er fuegt sich in das Unvermeidliche und geht hinaus; Mill sieht ihm mit begeisterter, naerrischer Verehrung nach. Fraeulein Garnett, die Mill nicht schuetteln kann, wie sie moechte, laesst ihre Gefuehle an der Schreibmaschine aus.) (Mill.) Was fuer ein vortrefflicher Mann, welch ein tiefes liebevolles Gemuet! (Er nimmt Morells Platz am Tisch ein und macht es sich bequem, indem er eine Zigarette hervorzieht.) (Proserpina ungeduldig, nimmt den Brief, den sie auf der Maschine geschrieben hat, und faltet ihn zusammen:) Ach! ein Mann sollte seine Frau lieben koennen, ohne einen Narren aus sich zu machen. (Mill erregt:) Aber Fraeulein Proserpina! (Proserpina geschaeftig aufstehend, holt ein Kuvert aus dem Pulte, in das sie, waehrend sie spricht, den Brief hineinlegt:) Candida hin und Candida her und Candida ueberall. (Sie leckt das Kuvert.) Es kann einen ausser Rand und Band bringen! (Haemmert das Kuvert, um es fest zu schliessen.) Hoeren zu muessen, wie eine ganz gewoehnliche Frau in dieser laecherlichen Weise vergoettert wird, bloss weil sie schoenes Haar und eine leidliche Figur hat. (Mill mit vorwurfsvollem Ernst:) Ich finde sie ungewoehnlich schoen, Fraeulein Garnett. (Er nimmt die Photographie zur Hand betrachtet sie und fuegt mit noch tieferem Ausdruck hinzu:) Wunderbar schoen,--was fuer herrliche Augen sie hat! (Proserpina.) Candidas Augen sind durchaus nicht schoener als meine, (Mill stellt die Photograpbie fort und sieht sie strenge an,) und ich weiss ganz gut, dass Sie mich fuer ein gewoehnliches und untergeordnetes Geschoepf halten. (Mill erbebt sich majestaetisch:) Gott behuete, dass ich von irgendeinem Geschoepf Gottes in dieser Weise daechte. (Er geht steif von ihr fort bis in die Naehe des Buecherschranks.) (Proserpina mit bitterem Spott:) Ich danke Ihnen, das ist sehr nett und troestlich. (Mill traurig ueber ihre Verstocktheit:) Ich hatte keine Ahnung, dass Sie etwas gegen Frau Morell haben. (Proserpina entruestet:) Ich habe durchaus nichts gegen sie. Sie ist sehr liebenswuerdig und sehr gutherzig, ich habe sie sehr gern und weiss ihre wirklich guten Eigenschaften weit besser zu wuerdigen, als irgendein Mann es koennte. (Mill schuettelt traurig den Kopf, wendet sich zum Buecherschrank und sucht die Reihen entlang nach einem Bande. Sie folgt ihm mit heftiger Leidenschaftlichkeit.) Sie glauben mir nicht? (Er wendet sich um und blickt ihr ins Gesicht. Sie faellt ihn mit Heftigkeit an:) Sie halten mich fuer eifersuechtig? Was fuer eine tiefe Kenntnis des menschlichen Herzens Sie haben, Herr Alexander Mill! Wie gut Sie die Schwaechen der Frauen kennen, nicht wahr? Wie schoen es sein muss, ein Mann zu sein und einen scharfen durchdringenden Verstand zu haben, statt blosse Gefuehle, wie wir Frauen, und zu wissen, dass die Ursache, warum wir ihr Vernarrtsein in eine Frau nicht teilen, nur in gegenseitiger Eifersucht zu suchen sein kann. (Sie wendet sich mit einer Bewegung ihrer Schultern von ihm ab und geht an das Feuer, ihre Haende zu waermen.) (Mill.) Ach, wenn Ihr Frauen nur ebenso leicht den Schluessel zur Staerke des Mannes faendet wie zu seiner Schwaeche, es gaebe keine Frauenfrage. (Proserpina ueber ihre Schulter, waehrend sie die Haende vor die Flammen haelt:) Wo haben Sie das von Herrn Morell gehoert? Sie selbst haben es nicht erfunden,--Sie sind dazu nicht gescheit genug. (Mill.) Das ist ganz richtig. Ich schaeme mich durchaus nicht, ihm diesen Ausspruch zu verdanken, wo ich ihm schon so viele andere geistige Wahrheiten verdanke! Er tat ihn bei der Jahresversammlung der freien Frauenvereinigung. Erlauben Sie mir hinzuzufuegen, dass ich, obwohl bloss ein Mann, im Gegensatz zu jenen Frauen diesen Ausspruch zu schaetzen wusste! (Er wendet sich wieder an den Buecherschrank in der Hoffnung, dass diese Worte sie vernichtet haben.) (Proserpina ordnet ihr Haar vor den kleinen Spiegeln des Kamins:) Wenn Sie mit mir sprechen, sagen Sie mir gefaelligst Ihre eigenen Gedanken, soviel sie eben wert sind, und nicht die Pastor Morells. Sie geben niemals eine traurigere Figur ab, als wenn Sie versuchen, ihn nachzumachen. (Mill gekraenkt:) Ich versuche seinem Beispiel zu folgen, aber nicht, ihn nachzumachen. (Proserpina kommt wieder an ihn heran auf dem Rueckwege zu ihrer Arbeit:) Jawohl, Sie machen ihn nach. Warum stecken Sie Ihren Schirm unter den linken Arm, statt ihn in der Hand zu tragen wie jeder andere? Warum gehen Sie mit vorgeschobenem Kinn und warum eilen Sie vorwaerts mit diesem eifrigen Ausdruck in den Augen,--Sie, der Sie nie vor halb zehn Uhr morgens aufstehen? Warum sagen Sie in der Kirche "Aandacht", obwohl Sie im Leben "Andacht" sagen? Bah--glauben Sie, ich weiss das nicht? (Geht zurueck zur Schreibmaschine.) Da kommen Sie her und machen Sie sich endlich an Ihre Arbeit; wir haben heute Morgen genug Zeit verloren. Hier ist eine Abschrift der Tageseinteilung fuer heute. (Sie reicht ihm ein Memorandum. Mill schwer beleidigt:) Ich danke Ihnen. (Er nimmt das Papier und steht mit dem Ruecken gegen sie an den Tisch gelehnt und liest.) Sie faengt an, auf der Schreibmaschine ihre stenographischen Aufzeichnungen zu uebertragen, ohne auf Mills Gefuehle zu achten. (Burgess tritt unangemeldet ein.) Er ist ein Mann von sechzig Jahren, derb und filzig geworden durch die notwendige Selbstsucht des kleinen Kraemers, die sich spaeter durch Ueberfuetterung und geschaeftlichen Erfolg zu traeger Aufgeblasenheit milderte. Ein gemeiner, unwissender, unmaessiger Mensch, beleidigend und hochnasig Leuten gegenueber, deren Arbeit wohlfeil ist, ehrfuerchtig gegen Menschen von Reichtum und Rang, aber beiden gegenueber ganz aufrichtig und ohne Groll oder Neid. Da sie ihn ohne besondere Faehigkeiten sah, hat ihm die Welt keine andere gut bezahlte Arbeit zu bieten gewusst, als unnoble Arbeit, und er wurde infolgedessen etwas erbaermlich, hat aber keine Ahnung, dass er so beschaffen ist, und betrachtet seinen kommerziellen Wohlstand ganz ehrlich als den unvermeidlichen und sozial berechtigten Triumph der Geschicklichkeit, Tuechtigkeit, Faehigkeit und Erfahrung eines Mannes, der im Privatleben uebertrieben, leichtsinnig, liebenswuerdig und leutselig ist. Koerperlich ist er kurz und dick, mit einer schnauzenaehnlichen Nase in der Mitte eines flachen, breiten Gesichtes; unter dem Kinn ein staubfarbener Bart mit einem grauen Fleck in der Mitte; er hat waesserige blaue Augen mit klagend sentimentalem Ausdruck, der sich durch die Gewohnheit, seine Saetze wichtigtuend zu singen, auch leicht auf seine Stimme uebertraegt. (Burgess bleibt an der Schwelle stehen und blickt umher:) Man sagte mir, Herr Morell sei hier. (Proserpina sich erhebend:) Er ist oben, ich will ihn holen. (Burgess sie frech anstarrend:) Sie sind nicht dieselbe junge Dame, die sonst fuer ihn schrieb. (Proserpina.) Nein. (Burgess beistimmend:) Nein, die war juenger. (Fraeulein Garnett starrt ihn an, dann gebt sie mit grosser Wuerde hinaus. Er nimmt dies gleichgueltig entgegen und geht an den Kaminteppich, wo er sich umwendet und sich breitspurig aufpflanzt, den Ruecken dem Feuer zugekehrt.) (Burgess.) Sind Sie im Begriff Ihren Rundgang zu machen, Herr Mill? (Mill faltet sein Papier und steckt es in die Tasche:) Jawohl, ich muss gleich fort. (Burgess wichtig:) Lassen Sie sich nicht aufhalten; was ich mit Herrn Morell zu besprechen habe, ist ganz privater Natur. (Mill aufgeblasen:) Ich habe durchaus nicht die Absicht, mich einzumengen, verlassen Sie sich darauf, Herr Burgess. Guten Morgen! (Burgess herablassend:) Guten Morgen, guten Morgen! (Morell kommt zurueck, waehrend Mill sich zur Tuer wendet.) (Morell zu Mill:) Sie gehen an die Arbeit? (Mill.) Jawohl, Herr Pastor. (Morell klopft ihn liebenswuerdig auf die Schulter:) Da, nehmen Sie mein Seidentuch um den Hals, es geht ein kalter Wind draussen. Aber jetzt machen Sie, dass Sie fortkommen. (Mill, mehr als getroestet ueber Burgess' Schroffheit, freut sich und geht hinaus.) (Burgess.) Guten Morgen, Jakob. Sie verwoehnen Ihren Unterpfarrer wie immer. Wenn ich einen Mann bezahle und einer auf meine Kosten lebt, dann weise ich ihm gehoerig seinen Platz an. (Morell etwas kurz angebunden:) Ich weise meinem Unterpfarrer immer seinen Platz an, naemlich an meiner Seite als meinem Helfer und Kameraden. Wenn es Ihnen gelingt, so viel Arbeit aus Ihren Kommis und Angestellten herauszukriegen wie ich aus meinem Unterpfarrer, dann muessen Sie ziemlich rasch reich werden. Bitte, setzen Sie sich in Ihren gewohnten Stuhl. (Er weist mit trockener Autoritaet auf den Armstuhl neben dem Kamin, dann ergreift er einen freien Stuhl und setzt sich in zurueckhaltender Entfernung von seinem Besucher.) (Burgess ohne sich zu ruehren:) Sie sind ganz der alte, Jakob. (Morell.) Als Sie mich das letztemal besuchten--ich glaube, es war vor drei Jahren--da sagten Sie genau dasselbe. Nur etwas aufrichtiger. Ihr woertlicher Ausspruch war damals: "Derselbe Narr wie immer, Jakob." (Burgess sich rechtfertigend:) Vielleicht sagte ich das, aber (mit versoehnender Heiterkeit:) ich meinte nichts Beleidigendes damit. Ein Geistlicher hat das Privilegium, ein wenig naerrisch sein zu duerfen--wissen Sie, das liegt schon in seinem Beruf. Einerlei, ich bin nicht hergekommen, um alte Meinungsverschiedenheiten aufzuwaermen, sondern um die Vergangenheit vergessen sein zu lassen. (Er wird ploetzlich sehr feierlich und naehert sich Morell.) Jakob, vor drei Jahren haben Sie mir uebel mitgespielt. Sie haben mich um meine Lieferungen gebracht, und als ich Ihnen in meiner erklaerlichen Verzweiflung boese Worte gab, brachten Sie meine Tochter gegen mich auf. Nun, ich bin gekommen, um Ihnen zu zeigen, dass ich ein guter Christ bin. (Ihm seine Hand darreichend:) Ich verzeihe Ihnen, Jakob. (Morell auffahrend:) Verdammt frech! (Burgess weicht zurueck mit fast schluchzendem Vorwurf ueber diese Behandlung:) Ziemt diese Sprache einem Pastor, Jakob? Und besonders Ihnen? (Morell bitzig:) Nein, sie ziemt ihm nicht, ich habe das falsche Wort gebraucht,--ich haette sagen sollen: "Der Teufel soll Ihre Frechheit holen!" Das wuerde Ihnen der heilige Paulus und jeder andere brave Priester gesagt haben. Glauben Sie, ich habe Ihr Anerbieten vergessen, als Sie fuer das Armenhaus vertragsmaessig Kleider liefern sollten? (Burgess in hoechster Erbitterung, weil ihm seine Forderung nur recht und billig erscheint:) Ich habe im Interesse der Steuerzahler gehandelt, Jakob,--es war das niedrigste Angebot, das koennen Sie nicht leugnen. (Morell.) Jawohl, das niedrigste, weil Sie schlechtere Loehne zahlten als irgendein anderer Unternehmer--Hungerloehne,--ach, aerger als Hungerloehne war die Bezahlung, die Sie den Frauen fuer ihre Naeharbeit geboten haben. Ihre Loehne haetten die Armen auf die Strasse getrieben, um Leib und Seele zu verkaufen. (Immer wuetender werdend:) Jene Frauen waren aus meinem Kirchsprengel, ich habe die Armenpfleger dazu gebracht, dass sie sich schaemten, Ihr Angebot anzunehmen, ich habe die Steuerzahler dazu gebracht, dass sie sich schaemten, es zuzulassen, ich habe jeden bis auf Sie dazu gebracht, sich deswegen zu schaemen. (Ueberschaeumend vor Wut:) Wie koennen Sie es wagen, Herr, hierherzukommen und mir etwas vergeben zu wollen und ueber Ihre Tochter zu sprechen und... (Burgess.) Beruhigen Sie sich, Jakob,--still, still, regen Sie sich nicht fuer nichts und wieder nichts so auf. Ich habe ja zugegeben, dass ich unrecht hatte. (Morell wuetend:) Haben Sie das? Ich habe nichts davon bemerkt! (Burgess.) Natuerlich gab ich's zu, so wie ich's noch jetzt zugebe. Na, ich bitte Sie um Verzeihung wegen des Briefes, den ich Ihnen geschrieben habe,--genuegt Ihnen das? (Morell mit den Fingern schnalzend:) Ganz und gar nicht! Haben Sie die Loehne erhoeht? (Burgess triumphierend:) Ja! (Morell verbluefft innehaltend:) Was? (Burgess salbungsvoll:) Ich bin das Muster eines Arbeitgebers geworden. Ich beschaeftige keine Frauen mehr, sie haben alle den Laufpass bekommen, und die Arbeit wird jetzt durch Maschinen verrichtet. Nicht ein Mann verdient jetzt weniger als sechs Pence die Stunde, und die alten geuebten Arbeiter bekommen die von den Gewerkschaften festgesetzten Loehne. (Stolz:) Was sagen Sie jetzt? (Morell ueberwaeltigt:) Ist das moeglich? Na, es ist mehr Freude im Himmel ueber einen Suender, der Busse tut--(Er geht auf Burgess zu mit einem Ausbruch entschuldigender Herzlichkeit.) Mein lieber Burgess, ich bitte Sie herzlichst um Verzeihung wegen der schlechten Meinung, die ich von Ihnen hatte. (Seine Hand fassend:) Und fuehlen Sie sich nicht wohler nach dieser Veraenderung? Gestehen Sie es! Sie sind gluecklicher, Sie sehen gluecklicher aus. (Burgess klaeglich:) Na ja, vielleicht fuehle ich mich jetzt gluecklicher, ich muss wohl, da Sie es bemerken. Tatsache ist, dass mein Angebot von der Behoerde angenommen wurde. (Wild:) Sie wollte nichts mit mir zu schaffen haben, ehe ich anstaendige Loehne zahlte--der Teufel soll diese verdammten Narren holen, die ihre Nase in alles stecken muessen! (Morell laesst seine Hand fahren, aufs tiefste entmutigt:) Das ist also der Grund, warum Sie die Loehne erhoeht haben! (Er setzt sich niedergeschlagen.) (Burgess streng, anmassend, lauter werdend:) Weswegen sollt' ich es sonst getan haben? Wohin anders fuehrt es, als zu Trunksucht und Ausschweifungen? (Er setzt sich wie ein Richter in den grossen Lehnstuhl.) Das ist alles sehr schoen und gut fuer Sie: es bringt Sie in die Zeitungen und macht Sie zu einem beruehmten Manne; aber Sie denken nie an den Schaden, den Sie anrichten, indem Sie die Taschen der Arbeiter mit Geld anfuellen, das sie doch nicht vernuenftig auszugeben verstehen, waehrend Sie es Leuten fortnehmen, die gute Verwendung dafuer haetten. (Morell nach einem schweren Seufzer, mit kalter Hoeflichkeit:) Was wollen Sie also heute von mir? Ich bilde mir nicht ein, dass nur verwandtschaftliche Gefuehle Sie herfuehren. (Burgess hartnaeckig:) Doch--gerade verwandtschaftliche Gefuehle und nichts anderes! (Morell mit mueder Ruhe:) Das glaub' ich Ihnen nicht. (Burgess springt drohend auf:) Sagen Sie mir das nicht ein zweites Mal, Jakob Morell! (Morell unerschuetterlich:) Ich werde es genau so oft sagen, als es noetig ist, Sie davon zu ueberzeugen.--Das glaub' ich Ihnen nicht. (Burgess versinkt in einen Zustand von tief verwundetem Gefuehl:) Nun gut, wenn Sie durchaus unfreundlich sein wollen, dann ist es wohl am besten, ich gehe. (Er bewegt sich zoegernd gegen die Tuer, Morell gibt kein Zeichen. Burgess zoegert noch.) Ich habe nicht erwartet, Sie unversoehnlich zu finden, Jakob. (Da Morell noch immer nicht antwortet, macht er noch einige zoegernde Schritte nach der Tuer, dann kommt er zurueck, jammernd:) Wir haben uns doch immer ganz gut vertragen, trotz unserer verschiedenen Anschauungen, warum sind Sie mir gegenueber jetzt so veraendert? Ich gebe Ihnen mein Wort, dass ich bloss aus Freundschaft hergekommen bin und nicht, um mich mit dem Manne meiner eigenen Tochter auf schlechten Fuss zu stellen. Seien Sie doch ein Christ, Jakob, reichen Sie mir Ihre Hand. (Er legt seine Hand sentimental auf Morells Schulter.) (Morell blickt nachdenklich zu ihm auf.) Schauen Sie, Burgess, wollen Sie hier ebenso willkommen sein, wie Sie es waren, ehe Sie Ihren Vertrag verloren? (Burgess.) Jawohl, Jakob, das moechte ich wirklich. (Morell.) Warum benehmen Sie sich dann nicht wie damals? (Burgess nimmt seine Hand behutsam weg:) Wie meinen Sie das? (Morell.) Das will ich Ihnen sagen. Damals hielten Sie mich fuer einen jungen Dummkopf! (Burgess schmeichelnd:) Nein, dafuer habe ich Sie nicht gehalten, ich-- (Morell ihn unterbrechend:) Ja, dafuer hielten Sie mich! Und ich hielt Sie fuer einen alten Schurken. (Burgess will diese schwere Selbstanklage Morells heftig abwehren:) Nein, das haben Sie nicht getan, Jakob. Jetzt tun Sie sich selbst unrecht. (Morell.) Doch, das tat ich. Na, das hat aber nicht gehindert, dass wir ganz gut miteinander ausgekommen sind. Gott hat aus Ihnen das gemacht, was ich einen Schurken nenne, und aus mir das, was Sie eben einen Dummkopf nennen. (Diese Bemerkung erschuettert die Grundfesten von Burgess' Moral. Ihm wird schwach, und waehrend er Morell hilflos anblickt, streckt er die Hand aengstlich aus, um sein Gleichgewicht zu bewahren, als ob der Boden unter ihm wankte. Morell faehrt im selben Tone ruhiger Ueberzeugung fort:) Es ist in beiden Faellen nicht meine Sache, mit Gott darueber zu rechten. Solange Sie offen als ein sich selbst achtender, echter, ueberzeugter Schurke hierherkommen und, stolz darauf, Ihre Schurkereien zu rechtfertigen versuchen, sind Sie willkommen. Aber (und nun wird Morells Ton furchtbar; er erhebt sich und stuetzt sich zur Bekraeftigung mit der Faust auf die Rueckenlehne des Stuhles:) ich mag Sie hier nicht herumschnueffeln haben, wenn Sie so tun, als ob Sie das Muster eines Arbeitgebers waeren und ein bekehrter Mann dazu, waehrend Sie nur ein Abtruenniger sind, der seinen Rock nach dem Winde traegt, um einen Vertrag mit der Behoerde zustande zu bringen. (Er nickt ihm zu, um seiner Rede Nachdruck zu verleihen, dann geht er zum Kamin, wo er in bequemer Kommandostellung, mit dem Ruecken gegen das Feuer gekehrt, lehnt und fortfaehrt:) Nein, ich liebe es, wenn ein Mensch wenigstens sich selber treu bleibt, selbst im Boesen! Also, nehmen Sie jetzt entweder Ihren Hut und gehen Sie, oder setzen Sie sich und geben Sie mir einen guten, schurkischen Grund dafuer an, warum Sie mein Freund sein wollen. (Burgess, dessen Erregung sich genuegend gelegt hat, um in einem Grinsen ausgedrueckt werden zu koennen, fuehlt sich durch diesen konkreten Vorschlag sichtlich erleichtert. Er ueberlegt einen Augenblick, und dann setzt er sich langsam und sehr bescheiden in den Stuhl, den Morell eben verlassen hat.) So ist's recht,--nun heraus damit. (Burgess kichernd gegen seinen Willen:) Nein, Sie sind wirklich ein sonderbarer Kauz, Jakob! (Beinahe enthusiastisch:) Aber man muss Sie gern haben, ob man will oder nicht. Ausserdem nimmt man, wie ich schon sagte, nicht jedes Wort eines Geistlichen fuer bare Muenze, sonst muesste die Welt untergehn. Habe ich nicht recht? (Er fasst sich, um einen ernsteren Ton anzuschlagen, und die Augen auf Morell gerichtet, faehrt er mit eintoenigem Ernste fort:) Nun, meinetwegen, da Sie es wuenschen, dass wir gegeneinander ehrlich sind, will ich Ihnen zugeben, dass ich Sie--ein wenig--fuer einen Narren hielt; aber ich fange an zu glauben, dass ich damals etwas hinter meiner Zeit zurueckgeblieben war. (Morell frohlockend:) Aha, haben Sie das endlich herausgefunden? (Burgess bedeutungsvoll:) Ja, die Zeiten haben sich mehr veraendert, als man glauben sollte! Vor fuenf Jahren noch haette sich kein vernuenftiger Mensch mit Ihren Ideen abgegeben. Ich wunderte mich sogar, dass man Sie auf Ihrem Posten als Pastor beliess. Ich kenne einen Geistlichen, der durch den Bischof von London auf Jahre hinaus seiner Funktionen enthoben wurde, obwohl der arme Teufel nicht einen Funken mehr religioes war als Sie. Aber wenn heute jemand mit mir um tausend Pfund wetten wollte, dass Sie selbst noch einmal als Bischof enden werden, ich wuerde die Wette nicht anzunehmen wagen. (Sehr eindrucksvoll:) Sie und Ihre Sippschaft werden taeglich einflussreicher, wie ich ueberall merke. Man wird Sie einmal irgendwie befoerdern muessen, und waere es bloss, um Ihnen den Mund zu stopfen. Sie haben doch den richtigen Instinkt gehabt, Jakob! Der Weg, den Sie eingeschlagen haben, ist der eintraeglichste fuer einen Mann Ihres Schlages. (Morell reicht ihm jetzt die Hand mit fester Entschlossenheit:) Hier meine Hand, Burgess, jetzt reden Sie ehrlich. Ich glaube nicht, dass man mich zum Bischof ernennen wird; aber wenn es geschieht, dann will ich Sie mit den groessten Spekulanten bekannt machen, die ich zu meinen Diners bekommen kann. (Burgess der sich mit einem verschmitzten Grinsen erhoben und die Freundschaftshand ergriffen hat:) Sie bleiben nun mal bei Ihrem Witz, Jakob. Unser Streit ist jetzt beigelegt, nicht wahr? (Die Stimme einer Frau.) Sag "Ja", Jakob! (Erstaunt wenden sie sich um und bemerken, dass Candida eben eingetreten ist und sie mit jener belustigten, muetterlichen Nachsicht betrachtet, die ihr charakteristischer Gesichtsausdruck ist. Sie ist eine Frau von dreiunddreissig Jahren, schoen gewachsen, gut genaehrt. Man erraet, dass sie spaeter eine Matrone sein wird, aber jetzt steht sie noch in ihrer Bluete, mit dem Doppelreiz der Jugend und der Mutterschaft. Ihr Benehmen ist das einer Frau, die erfahren hat, dass sie die Menschen immer lenken kann, wenn sie ihre Neigung gewinnt, und die dies unbekuemmert offen und instinktiv tut. In diesem Punkte ist sie wie jede andere huebsche Frau, die gerade klug genug ist, aus ihrer weiblichen Anziehungskraft zu alltaeglich selbsttuechtigen Zwecken so viel Kapital wie moeglich zu schlagen. Aber Candidas heitere Stirn und ihre mutigen Augen, der schoen geformte Mund und ihr Kinn kennzeichnen umfassenden Geist und Wuerde des Charakters, der ihre Schlauheit im Gewinnen von Neigungen adelt. Ein kluger Beobachter wuerde, sie betrachtend, sofort erraten, dass wer das Bild der Assunta auch ueber ihren Kamin gehaengt haben mochte, ein seelisches Band zwischen den beiden Frauengestalten geahnt hatte, obwohl er weder ihrem Manne, noch ihr selbst den Gedanken zutraute, sie mit der Kunst Tizians irgendwie in Zusammenhang zu bringen.--Sie ist in Hut und Mantel und hat eine zusammengeschnuerte Reisedecke, durch die ihr Schirm gesteckt ist, eine Handtasche und eine Menge illustrierter Zeitungen in den Haenden.) (Morell ueber seine Nachlaessigkeit erschrocken:) Candida! Ei nun!--(Er sieht auf seine Uhr und ist entsetzt, dass es schon so spaet ist.) Mein Schatz! (Er eilt ihr entgegen und nimmt ihr die Reisedecke ab, indem er fortfaehrt, sein reumuetiges Bedauern hervorzusprudeln:) Ich hatte die Absicht, dich von der Bahn abzuholen, aber ich bemerkte nicht, dass die Zeit schon um war, (die Reisedecke aufs Sofa werfend:) ich war so sehr in Anspruch genommen--(Wieder zu ihr kommend:) dass ich das vergass--oh! (Er umarmt sie mit reumuetiger Ergriffenheit.) (Burgess etwas beschaemt und ungewiss, wie er von seiner Tochter empfangen werden wird:) Wie geht es dir, Candy? (Candida, noch in Morells Armen, bietet ihm ihre Wange, die er kuesst:) Jakob und ich sind zu einer Verstaendigung gekommen--zu einer ehrenvollen Verstaendigung. Nicht wahr, Jakob? (Morell heftig:) Reden Sie nicht von unserer Verstaendigung! Ihretwegen habe ich versaeumt, Candida abzuholen. (Teilnahmsvoll:) Du arme Liebe, wie bist du nur mit deinem Gepaeck fertig geworden? Wie-- (Candida unterbricht ihn und macht sich los:) Na, na, na! ich war nicht allein. Eugen ist mit uns gekommen--wir sind zusammen hergefahren. (Morell erfreut:) Eugen?! (Candida.) Ja. Er plagt sich eben mit meinem Gepaeck ab, der arme Junge. Ich bitte dich, lieber Jakob, geh gleich hinunter, sonst bezahlt er den Wagen, und das moechte ich nicht. (Morell eilt hinaus. Candida stellt ihre Handtasche nieder, nimmt dann ihren Mantel und Hut ab und legt sie auf das Sofa neben die Decke und plaudert inzwischen.) Nun, Papa, wie geht's zu Hause? (Burgess.) Es lohnt sich nicht mehr, dort zu leben, seit du uns verlassen hast, Candy. Ich wollte, du kaemst einmal, um nachzusehn und mit dem Maedchen zu sprechen.--Wer ist dieser Eugen, der dich begleitet hat? (Candida.) Oh, Eugen ist eine von Jakobs Entdeckungen. Er fand ihn im verflossenen Juni schlafend auf dem Kai. Hast du unser neues Bild nicht bemerkt? (Ruf das Bild der Assunta zeigend:) Das haben wir von ihm. (Burgess unglaeubig:) Was soll das heissen? Willst du mir, deinem eigenen Vater, etwa einreden, dass ein Landstreicher, den man schlafend auf dem Kai findet, solche Bilder schenkt? (Strenge:) Betrueg mich nicht, Candy; es ist ein katholisches Bild, und Jakob hat es selbst gekauft. (Candida.) Du irrst. Eugen ist kein Landstreicher. (Burgess.) Was ist er denn? (Sarkastisch:) Ein Edelmann wahrscheinlich? (Candida nickt belustigt:) Jawohl, sein Onkel ist ein Pair--ein wirklicher, leibhaftiger Graf. (Burgess wagt es nicht, so eine gute Nachricht zu glauben:) Nein! (Candida.) Ja! Er trug einen Wechsel auf fuenfundfuenfzig Pfund--zahlbar in acht Tagen--in der Tasche, als Jakob ihn am Kai fand. Er dachte, dass er dafuer kein Geld bekommen koennte, bevor die acht Tage um waeren, und er war zu schuechtern, Kredit zu verlangen. Oh, er ist ein lieber Junge, wir haben ihn sehr gern. (Burgess der so tut, als verachte er die Aristokraten, aber mit glaenzenden Augen:) Hm, ich dachte mir's, dass der Neffe eines Pairs nicht bei euch im Viktoriapark zu Besuch sein wuerde, wenn er nicht ein bisschen verrueckt waere. (Er blickt wieder auf das Bild.) Ich bin natuerlich mit dem Vorwurf dieses Bildes, als strengglaeubiger Protestant, nicht einverstanden, Candy; aber dass es ein erstklassiges, grosses Kunstwerk ist, das habe ich sofort erkannt. Nicht wahr, du stellst mich ihm vor, Candy? (Er sieht aengstlich auf seine Uhr.) Ich kann aber hoechstens noch zwei Minuten bleiben. (Morell kommt mit Eugen zurueck, den Burgess mit feuchten Augen begeistert anstarrt. Eugen ist ein seltsamer, scheuer Juengling von achtzehn Jahren, schlank, weibisch, mit einer zarten, kindlichen Stimme, einem gehetzten, gequaelten Ausdruck und mit einem Benehmen, das die schmerzliche Empfindlichkeit sehr schnell und ploetzlich gereifter Knaben kennzeichnet, bevor ihr Charakter volle Festigkeit erreicht hat. Erbaermlich unentschlossen, weiss er nie, wo er stehen und was er tun soll. Burgess erschreckt ihn, und er moechte am liebsten fort von ihm in die Einsamkeit laufen, wenn er es wagte. Aber die Intensitaet, mit der er eine so ganz gewoehnliche Lage empfindet, zeugt doch nur von seiner uebergrossen nervoesen Kraft; und seine Nasenfluegel, sein Mund und seine Augen verraten einen leidenschaftlich ungestuemen Eigensinn, ueber dessen aeussersten Grad seine Stirne, die schon vom Mitleid gefurcht ist, wieder beruhigt. Er sieht absonderlich aus, beinahe wie nicht von dieser Welt--und prosaische Leute sehen etwas Ungesundes in dieser ueberirdischen Art, so wie poetische Menschen darin etwas Engelgleiches sehen. Seine Kleidung ist ganz frei; er traegt ein altes Jakett aus blauem Serge, aufgeknoepft, ueber einem wollenen Lawn-Tennis-Hemd, mit einem seidenen Halstuch als Krawatte, zu dem Jackett passende Beinkleider und braune Schuhe aus Segeltuch. In diesem Aufzuge hat er augenscheinlich im Heidekraut gelegen und ist durch das Wasser gewatet; es ist auch nicht ersichtlich, dass er die Kleider jemals abgebuerstet hat. Da er beim Eintritt einen Fremden sieht, haelt er inne und drueckt sich laengs der Wand nach der entgegengesetzten Seite des Zimmers weiter.) (Morell beim Eintreten:) Kommen Sie. Sie haben sicher doch eine Viertelstunde fuer uns uebrig. Das ist mein Schwiegervater, Herr Burgess--Herr Marchbanks. (Marchbanks weicht geaengstigt gegen den Buecherschrank zurueck:) Sehr angenehm-- (Burgess geht mit grosser Herzlichkeit auf ihn zu, waehrend Morell vor den Kamin zu Candida tritt:) Es freut mich sehr, Sie kennen zu lernen, Herr Marchbanks. (Noetigt ihn, ihm die Hand zu geben.) Wie geht es Ihnen bei diesem Wetter? Ich hoffe, Jakob versucht nicht, Ihnen verrueckte Ideen in den Kopf zu setzen. (Marchbanks.) Verrueckte Ideen? Ach, Sie meinen sozialistische? Nein, o nein! (Burgess.) Das ist recht. (Sieht wieder auf seine Uhr.) Na, jetzt muss ich aber gehen, da ist nichts zu machen. Haben Sie vielleicht denselben Weg, Herr Marchbanks? (Marchbanks.) Nach welcher Richtung gehen Sie? (Burgess.) Station Viktoriapark. Um zwoelf Uhr fuenfundzwanzig geht ein Zug nach der City. (Morell.) Unsinn, Eugen, Sie fruehstuecken doch hoffentlich mit uns! (Marchbanks sich aengstlich entschuldigend:) Nein, ich--ich-- (Burgess.) Nun, ich will Ihnen nicht zureden. Ich wette, dass Sie es vorziehen, mit Candy zu fruehstuecken. Ich hoffe aber, dafuer werden Sie eines Abends im Buergerklub in Norton Folgate mit mir dinieren,--bitte, sagen Sie zu! (Marchbanks.) Ich danke Ihnen, Herr Burgess. Wo ist Norton Folgate?--Unten in Surrey, nicht wahr? (Burgess, unaussprechlich belustigt, faengt zu lachen an.) (Candida zu Hilfe kommend:) Du wirst deinen Zug versaeumen, Papa, wenn du nicht sofort gehst; komm am Nachmittag wieder und erklaere Herrn Marchbanks dann, wie man nach dem Klub gelangt. (Burgess mit schallendem Gelaechter:) In Surrey, ha ha, das ist nicht schlecht! Nun, ich habe noch nie einen Menschen getroffen, der nicht Norton Folgate gekannt haette. (Betroffen ueber den Laerm seiner eigenen Stimme:) Leben Sie wohl, Herr Marchbanks; ich weiss, Sie sind zu vornehm, um meinen Scherz schlecht aufzufassen. (Er reicht ihm abermals die Hand.) (Marchbanks erfasst sie mit nervoesem Griff.) O bitte, bitte! (Burgess.) Adieu, adieu, Candy. Ich werde spaeter wiederkommen--auf Wiedersehen, Jakob. (Morell.) Muessen Sie wirklich gehen? (Burgess.) Lasst euch nicht stoeren. (Er gebt mit unverminderter Herzlichkeit hinaus.) (Morelt.) Ich werde Sie hinausbegleiten. (Er folgt ihm, Eugen starrt ihnen aengstlich nach und haelt seinen Atem an, bis Burgess verschwunden ist.) (Candida lachend:) Nun, Eugen? (Er wendet sich mit einem Ruck um und kommt heftig auf sie zu, haelt aber unschluessig inne, als er ihren belustigten Blick bemerkt.) Wie gefaellt Ihnen mein Vater? (Marchbanks.) Ich--ich kenne ihn doch kaum,--er scheint ein sehr lieber alter Herr zu sein. (Candida mit leiser Ironie:) Und Sie werden seine Einladung in den Buergerklub annehmen, nicht wahr? (Marchbanks ungluecklich, es fuer Ernst nehmend:) Gerne, wenn Sie es wuenschen. (Candida geruehrt:) Wissen Sie, dass Sie ein sehr lieber Junge sind, Eugen, trotz all Ihrer Sonderlichkeiten. Wenn Sie meinen Vater ausgelacht haetten, so waere nichts dabei gewesen, aber es gefaellt mir um so besser von Ihnen, dass Sie nett zu ihm waren. (Marchbanks.) Haette ich lachen sollen? Mir war, als ob er etwas scherzhaftes sagte, aber ich fuehle mich Fremden gegenueber so bedrueckt, und ich kann Witze nie verstehen. Es tut mir sehr leid. (Er setzt sich auf das Sofa, die Ellbogen auf den Knien und die Schlaefen zwischen den Faeusten, mit dem Ausdruck hoffnungslosen Leidens.) (Candida heitert ihn gutmuetig auf:) Oh, Sie grosses Kind,--Sie sind heute noch aerger als sonst. Warum waren Sie auf der Fahrt in der Droschke so melancholisch? (Marchbanks.) Oh, das war nichts. Ich dachte darueber nach, wieviel ich dem Kutscher geben sollte. Ich weiss, es ist aeusserst dumm, aber Sie wissen nicht, wie schrecklich mir solche Dinge sind,--wie ich mich davor scheue, mit fremden Leuten zu unterhandeln. (Frisch und beruhigend:) Aber jetzt ist alles gut. Er lachte mit dem ganzen Gesicht und beruehrte seinen Hut, als Ihr Mann ihm zwei Schilling gab; ich war im Begriff, ihm zehn zu bieten. (Candida lacht herzlich, Morell kommt mit einigen Briefen und Zeitungen zurueck, die mit der Mittagspost gekommen sind.) (Candida.) Oh, lieber Jakob, denke nur, er wollte dem Kutscher zehn Schilling geben,--zehn Schilling fuer eine Fahrt von drei Minuten, was sagst du? (Morell vor dem Tisch die Briefe ueberfliegend:) Machen Sie sich nichts daraus, Marchbanks. Der Trieb, zuviel zu bezahlen, ist ein Beweis von Grossmut und viel besser als der entgegengesetzte, und nicht so gewoehnlich. (Marchbanks wieder in Niedergeschlagenheit verfallend:) Nein, Feigheit, Untauglichkeit ist das. Frau Morell hat ganz recht. (Candida.) Gewiss hat sie recht. (Sie nimmt ihre Handtasche auf.) Und nun muss ich Sie Jakob ueberlassen. Ich nehme an, Sie sind zu sehr Poet, um sich den Zustand vorstellen zu koennen, in dem eine Frau ihr Haus wiederfindet, wenn sie drei Wochen fortgewesen ist. Geben Sie mir meine Decke. (Eugen nimmt die eingeschnallte Decke vom Sofa und gibt sie ihr; sie nimmt sie in die linke Hand, da sie ihre Tasche in der rechten haelt.) Nun, bitte, haengen Sie mir den Mantel ueber den Arm. (Er gehorcht.) Nun meinen Hut. (Er gibt ihn ihr in die Hand, die das Gepaeck haelt.) Nun oeffnen sie mir die Tuer.--(Er laeuft ihr voraus und oeffnet die Tuer.) Danke. (Sie geht hinaus, und Marchbanks schliesst sie hinter ihr wieder.) (Morell noch am Tisch beschaeftigt:) Sie bleiben selbstverstaendlich zum Fruehstueck bei uns, Marchbanks. (Marchbanks erschreckt:) Ach, ich darf nicht. (Er sieht rasch nach Morell hin, weicht aber ploetzlich seinem vollen Blick aus und fuegt mit sichtlicher Unaufrichtigkeit hinzu:) Ich meine, ich kann nicht. (Morell.) Sie meinen, Sie wollen nicht. (Marchbanks ernst:) Nein, ich moechte wirklich gerne, ich danke Ihnen sehr, aber--aber-- (Morell leichthin, beendigt seinen Brief und tritt dicht an Eugen heran:) Aber--aber--aber--aber! Unsinn! Wenn Sie bleiben wollen, dann bleiben Sie,--Sie werden mich doch nicht ueberzeugen wollen, dass Sie irgend etwas anderes zu tun haben? Wenn Sie schuechtern sind, machen Sie einen Spaziergang durch den Park und schreiben bis halb zwei Uhr Gedichte, und dann kommen Sie wieder und essen tuechtig. (Marchbanks.) Ich danke Ihnen. Ich wuerde das sehr gern tun, aber ich darf wirklich nicht. Die Wahrheit ist, dass mir Frau Morell gesagt hat, dass ich's lieber nicht tun sollte. Sie sagte, sie glaube nicht, dass Sie mich zum Fruehstueck einladen wuerden, aber wenn Sie es taeten, dann wuenschten Sie es doch nicht ernstlich. (Schmerzlich:) Sie sagte, ich wuerde das schon verstehen, aber ich verstehe es nicht.--Bitte, sagen Sie ihr nichts davon, dass ich es Ihnen wiedererzaehlt habe. (Morell belustigt:) Oh, ist das alles? Was halten Sie von meinem Vorschlag, in den Park zu gehen und diese Frage damit zu erledigen? (Marchbanks.) Wie? (Morell in guter Laune herausplatzend:) Na, Sie Dummkopf. (Aber dies geraeuschvolle Wesen verletzt sowohl ihn selbst als auch Eugen. Er haelt inne und faehrt mit liebevollem Ernst fort:) Nein, Scherz beiseite, mein lieber Junge! in einer gluecklichen Ehe wie die unsere ist die Rueckkehr der Frau in ihr Haus etwas sehr Heiliges. (Marchbanks sieht ihn rasch an, und erraet beinahe im voraus, was er sagen will.) Aber ein lieber Freund, eine wirklich vornehme, sympathische Seele ist bei einer solchen Gelegenheit nicht im Wege,--der erstbeste Besucher waere es allerdings. (Der gehetzte, erschreckte Ausdruck kommt ploetzlich und lebhaft in Eugens Gesicht, sowie er begreift. Morell, mit seinen eigenen Gedanken beschaeftigt, faehrt, ohne es zu bemerken, fort:) Candida dachte, ich wuerde Sie vielleicht lieber nicht hier haben, aber sie hatte unrecht. Ich habe Sie sehr lieb, Eugen; und ich moechte es auch Ihretwegen, dass Sie sehen, wie schoen es ist, so gluecklich verheiratet zu sein wie ich. (Marchbanks.) Gluecklich? Ihre Ehe? Das meinen Sie, das glauben Sie wirklich? (Morell heiter:) Ich weiss es, mein Junge. Laroche-foucauld behauptet zwar, dass es hoechstens passende, aber keine gluecklichen Ehen gaebe. Sie koennen sich nicht vorstellen, wie wohl es tut, einen so abgefeimten Luegner und verderbten Zyniker zu durchschauen! Ha, ha! Nun aber fort in den Park und schreiben Sie Ihr Gedicht! und vergessen Sie nicht: Punkt halb zwei Uhr! Wir warten niemals mit dem Essen auf jemand. (Marchbanks wild:) Nein, halten Sie ein, Sie sollen es auch nicht! Ich will alles ans Licht bringen. (Morell verwundert:) Wie? Was wollen Sie ans Licht bringen? (Marchbanks.) Ich muss mit Ihnen sprechen. Es gibt etwas, das zwischen uns erledigt werden muss. (Morell mit einem belustigten Blick nach der Uhr:) Jetzt? (Marchbanks leidenschaftlich:) Jawohl, jetzt. Ehe Sie dieses Zimmer verlassen. (Er weicht ein paar Schritte zurueck und steht so, als ob er Morell den Weg zur Tuer versperren wollte.) (Morell ernst, ohne sich zu ruehren, da er begreift, dass es sich um etwas Ernstes handelt:) Ich will es gar nicht verlassen. Ich dachte, Sie wollten gehen.--(Eugen ist von seinem sicheren Ton verwirrt und wendet ihm, sich kruemmend vor Verdruss, den Ruecken zu. Morell geht zu ihm hin und legt die Haende auf seine Schultern, fest und guetig, ohne Marchbanks Versuche, ihn abzuschuetteln, zu beachten.) Na--setzen Sie sich ruhig und erzaehlen Sie mir, was los ist. Und bedenken Sie eines: wir sind Freunde und brauchen nicht zu fuerchten, dass einer von uns anders als geduldig und guetig zu dem andern sein werde, was wir einander auch moegen zu sagen haben. (Marchbanks windet sich hin und her:) Oh, ich werde mich nicht vergessen, ich bin nur (bedeckt sein Gesicht verzweifelt mit den Haenden:) ausser mir vor Entsetzen! (Dann laesst er die Haende fallen, und sich mutig vorwaerts gegen Morell wendend, faehrt er drohend fort:) Sie werden ja sehen, ob Geduld und Guete da am Platz sind. (Morell, unerschuetterlich wie ein Felsen, sieht ihn nachsichtig an.) Betrachten Sie mich nicht so selbstgefaellig! Sie halten sich zwar fuer staerker als mich, aber ich werde Sie aufruetteln, wenn Sie ein Herz im Leibe haben. (Morell mit maechtigem Vertrauen:) Mich aufruetteln, mein Junge? Nur zu! Nur zu! Heraus damit! (Marchbanks.) Zuerst-- (Morell.) Zuerst? (Marchbanks.) Ich liebe Ihre Frau! (Morell faehrt zurueck, und nachdem er Eugen einen Augenblick aeusserst erstaunt angestarrt hat, bricht er in heftiges Lachen aus. Eugen wird stutzig, verliert aber seine Fassung nicht und steht empoert und verachtungsvoll da.) (Morell setzt sich, um sich auszulachen:) Aber, mein liebes Kind, natuerlich lieben Sie Candida. Jeder liebt sie, man kann nicht anders; das freut mich nur, aber (er sieht seltsam zu ihm auf:) halten Sie Ihren Fall fuer etwas, ueber das man auch nur zu sprechen braucht? Sie sind unter zwanzig und Candida ist ueber dreissig,--sieht das nicht einer Dummenjungenliebe aehnlich? (Marchbanks heftig:) Sie wagen, so von ihr zu sprechen! Sie glauben, dass Ihre Frau diese Art Liebe einfloessen kann!--Das ist eine Beleidigung gegen sie! (Morell erhebt sich rasch und veraendert den Ton:) Gegen sie? Nehmen Sie sich in acht, Eugen. Ich war geduldig. Ich hoffe, geduldig zu bleiben. Aber es gibt Dinge, die ich mir verbitten muss. Zwingen Sie mich nicht, Ihnen die Nachsicht zu zeigen, die ich einem Kinde gegenueber haben wuerde. Seien Sie ein Mann. (Marchbanks mit einer Bewegung, als wuerfe er etwas hinter sich:) Oh, lassen Sie dieses Geschwaetz beiseite. Ich bin entsetzt, wenn ich denke, wieviel die Arme davon hat anhoeren muessen in den langen Jahren, in denen Sie Candida selbstsuechtig und blind Ihrem Duenkel geopfert haben! (Sich nach ihm umwendend:) Sie, der Sie nicht einen Gedanken, nicht ein Gefuehl mit ihr gemeinsam haben. (Morell mit philosophischer Ruhe:) Ihr scheint das alles aber recht gut zu bekommen. (Ihm gerade ins Gesicht blickend:) Eugen, Sie machen sich zum Narren--zu einem sehr grossen Narren. Es ist zu Ihrem eigenen Besten, wenn man Ihnen das offen und ehrlich sagt. (Marchbanks.) Oh, glauben Sie, ich wuesste das alles nicht? Glauben Sie, dass die Dinge, ueber die Leute zu Narren werden, weniger wirklich und wahr sind, als die, bei denen sie vernuenftig bleiben? (Morells Blick wird zum ersten Male unsicher, er wendet instinktiv sein Gesicht ab und steht horchend, bestuerzt und nachdenklich da.) Diese Dinge sind noch viel wahrer, sie sind ueberhaupt die einzigen Dinge, die wahr sind. Sie sind sehr ruhig und massvoll und ruecksichtsvoll gegen mich, weil Sie sehen koennen, dass ich, was Ihre Frau betrifft, ein Narr bin. So wie der alte Mann, der eben hier war, zweifellos sehr weise ueber Ihren Sozialismus denkt, weil er sieht, dass Sie sich dabei zum Narren machen. (Morell wird sichtlich immer bestuerzter, und Eugen nuetzt seinen Vorteil aus, ihn heftig mit Fragen bedraengend:) Beweist dies, dass Sie unrecht haben? Beweist Ihre sichere Ueberlegenheit mir gegenueber, dass ich unrecht habe? (Morell sich zu Eugen wendend, der seinen Platz behauptet:) Marchbanks, irgendein Teufel hat Ihnen diese Worte in den Mund gelegt. Es ist leicht, fuerchterlich leicht, in einem Menschen den Glauben an sich selbst zu erschuettern. Dies auszunuetzen, um eines Menschen Seele zu verwirren, ist Teufelswerk. Hueten Sie sich davor! (Marchbanks unbarmherzig:) Das weiss ich! Es geschieht absichtlich. Ich sagte Ihnen ja, ich wuerde Sie aufruetteln. (Sie sehen einander einen Augenblick drohend in die Augen, dann findet Morell seine Wuerde wieder.) (Morell mit edler Guete:) Eugen, hoeren Sie mich an. Ich hoffe und baue darauf, dass Sie eines Tages ein gluecklicher Mensch sein werden, wie ich. (Eugen gibt durch eine zornige, ungeduldige Gebaerde zu verstehen, dass er an den Wert dieses Glueckes nicht glaubt. Morell, tief beleidigt, beherrscht sich mit aller Nachsicht und faehrt mit grosser kuenstlerischer Beredsamkeit fort:) Sie werden verheiratet sein und mit aller Macht und Ihrem besten Koennen daran arbeiten, jeden Erdenfleck, den Sie betreten, so gluecklich zu machen, wie Ihr eigenes Heim es sein wird. Sie werden einer von denen sein, die das Himmelreich auf Erden bereiten wollen, und--wer weiss?--Sie moegen ein Pionier oder ein Baumeister werden, wo ich nur ein demuetiger Arbeiter bin. Sie duerfen nicht glauben, Eugen, dass ich in Ihnen, so jung Sie auch sind, nicht jene Keime sehe, die Groesseres versprechen, als ich jemals von mir erwarten darf. Ich weiss ganz gut, dass der Geist, der in einem Dichter wohnt, heilig--dass er geradezu goettlich ist. Sie sollten bei dem Gedanken daran zittern, bei dem Gedanken, dass die schwere Verpflichtung und die grossen Gaben eines Dichters vielleicht einst auf Ihren Schultern ruhen werden. (Marchbanks unberuehrt und reuelos; die knabenhafte Knappheit seiner Worte sticht scharf gegen Morells Beredsamkeit ab:) Nicht davor zittere ich! Der Mangel dieser Gaben bei anderen, der macht mich zittern. (Morell verdoppelt die Kraft seiner Rede unter dem Einfluss seines echten Gefuehls und der Verstocktheit Eugens:) Dann tragen Sie dazu bei, jene Gaben in andere und in mich zu pflanzen--und nicht, sie auszurotten. Spaeter einmal, wenn Sie so gluecklich sein werden, wie ich es bin, dann will ich Ihr treuer Glaubensbruder werden. Ich will Sie zu dem Glauben fuehren, dass Gott uns eine Welt geschenkt hat, die nur unserer eigenen Unvernunft wegen kein Paradies ist, und dass jeder Federstrich Ihrer Arbeit Glueck aussaet fuer die grosse Ernte, die alle--selbst die Geringsten--eines Tages einfuehren werden. Und endlich will ich Ihnen nicht zum wenigsten zu dem Glauben verhelfen, dass Ihre Frau Sie liebt und in ihrem Heim gluecklich ist. Wir brauchen solche Hilfe, Marchbanks, wir haben sie immer sehr noetig. Es gibt so viele Dinge, die in uns Zweifel wecken, wenn wir uns erst einmal haben unsern Glauben trueben lassen. Selbst zu Hause sitzen wir wie in einem Kriegslager, umgeben von einer feindlichen Armee von Zweifeln. Wollen Sie den Verraeter spielen und sie zu mir einlassen? (Marchbanks sich umblickend:) Ist es fuer sie hier immer so gewesen? Dass eine Frau mit einer grossen Seele, die nach Wahrheit, Wirklichkeit und Freiheit duerstet, bloss mit Metaphern, Predigten und abgedroschenen Redensarten abgespeist wird? Glauben Sie, dass die Seele einer Frau von Ihrem Predigertalent leben kann? (Morell tief verwundet:) Marchbanks, Sie machen es mir schwer, mich zu beherrschen. Mein Talent gleicht dem Ihren, sofern es ueberhaupt einen echten Wert besitzt: es ist die Gabe, goettliche Wahrheit in Worte zu kleiden. (Marchbanks ungestuem:) Es ist die Gabe des Mundwerks, nicht mehr und nicht weniger. Was hat Ihre Fertigkeit, schoene Reden zu halten, mit der Wahrheit zu schaffen?--so wenig, wie das Orgelspiel mit ihr zu schaffen hat. Ich war niemals in Ihrer Kirche, aber ich war in Ihren politischen Versammlungen und habe Sie dort das tun sehen, was man die Menge zum Enthusiasmus hinreissen nennt. Das heisst: die Leute regten sich auf und benahmen sich, als ob sie betrunken waeren. Ihre Frauen sahen zu und merkten, was fuer Narren sie zu Maennern hatten. Oh, das ist eine alte Geschichte, Sie koennen sie schon in der Bibel finden. --Mir scheint, Koenig David in seinem Enthusiasmus war Ihnen sehr aehnlich. (Ihm die Worte in die Seele hohrend:) "Aber sein Weib verachtete ihn in ihrem Herzen!" (Morell wuetend:) Verlassen Sie mein Haus! Hoeren Sie? (Er gebt drohend auf ihn los.) (Marchbanks gegen das Sofa zurueckweichend:) Lassen Sie mich in Frieden, ruehren Sie mich nicht an! (Morell fasst ihn kraeftig am Aufschlag seines Rockes; er duckt sich auf das Sofa nieder.) (Marchbanks schreit leidenschaftlich:) Halten Sie ein; wenn Sie mich schlagen, so toete ich mich, ich wuerde es nicht ertragen! (Beinahe hysterisch:) Lassen Sie mich los: nehmen Sie Ihre Hand fort! (Morell langsam, mit nachdruecklicher Geringschaetzung:) Sie kleiner, winselnder, feiger Hund! (Er laesst ihn los:) Gehen Sie, sonst fallen Sie aus Angst in Ohnmacht. (Marchbanks auf dem Sofa nach Luft schnappend, aber befreit durch das Zurueckziehen von Morells Hand:) Ich fuerchte mich nicht vor Ihnen, Sie fuerchten sich vor mir! (Modell ruhig, ueber ihn gebeugt:) Es sieht mir ganz danach aus! (Marchbanks mit dreister Heftigkeit:) Ja; es sieht so aus. (Morell wendet sich verachtungsvoll ab, Eugen steht hastig auf und folgt ihm.) Weil ich vor einer brutalen Behandlung zurueckschrecke, weil (mit Traenen in der Stimmt:) ich nichts anderes tun kann, als heulen vor Wut, wenn mir Gewalt angetan wird--weil ich keinen schweren Koffer vom Kutscherbock herabheben kann wie Sie--weil ich mit Ihnen nicht um Ihre Frau raufen kann wie ein Arbeiter--deshalb glauben Sie, ich haette Angst vor Ihnen! Aber Sie irren. Besitze ich auch nicht Ihren beruehmten britischen Mut, so besitze ich doch auch nicht die britische Feigheit. Ich fuerchte mich vor den Ansichten eines Pastors nicht. Ich will kaempfen gegen Ihre Ansichten. Ich will Candida von der Sklaverei dieser Ansichten befreien, ich will meine eigenen Ansichten den Ihren entgegenstellen. Sie jagen mich aus dem Hause, weil Sie es nicht wagen, Candida zwischen meinen und Ihren Ansichten waehlen zu lassen! Sie fuerchten sich vor einem Wiedersehen zwischen Ihrer Frau und mir. (Morell wendet sich ploetzlich zornig zu ihm; er fluechtet nach der Tuer in unfreiwilliger Angst:) Lassen Sie mich in Ruhe. Ich gehe. (Morell mit kalter Verachtung:) Warten Sie einen Augenblick: ich werde Sie nicht beruehren, fuerchten Sie sich nicht. Wenn meine Frau zurueckkommt, duerfte sie wissen wollen, warum Sie fortgegangen sind; und wenn sie erfaehrt, dass Sie unsere Schwelle nie wieder ueberschreiten werden, dann wird sie darueber Aufklaerung verlangen. Nun moechte ich sie nicht betrueben und ihr sagen, dass Sie sich wie ein Schuft benommen haben. (Marchbanks kehrt mit erneuter Heftigkeit um:) Sie sollen es--Sie muessen! Wenn Sie irgendeine andere Aufklaerung als die wahre geben, so sind Sie ein Luegner und ein Feigling. Sagen Sie ihr, was ich gesagt habe, und wie Sie stark und maennlich waren und mich zerzaust haben wie ein Hund eine Ratte, und wie ich zurueckwich und entsetzt war, und wie Sie mich einen winselnden kleinen Hund nannten und mich aus dem Hause jagten! Wenn Sie ihr das alles nicht sagen werden, so werde ich es tun! Ich werd' es ihr schreiben. (Morell verbluefft:) Warum wollen Sie, dass sie das alles erfahren soll? (Marchbanks mit lyrischer Begeisterung:) Weil sie mich dann verstehen und wissen wird, dass ich sie verstehe. Wenn Sie nur ein Wort von alledem vor ihr verheimlichen--wenn Sie nicht bereit sind, ihr die reine Wahrheit zu Fuessen zu legen--wie ich--dann werden Sie bis an das Ende Ihrer Tage wissen, dass sie in Wirklichkeit mir gehoert und nicht Ihnen. Leben Sie wohl. (Er wendet sich zum Geben.) (Morell in furchtbarer Unrube:) Halt! ich werde ihr das alles nicht erzaehlen. (Marchbanks wieder nach der Tuer, wendet sich um:) Sie muessen ihr entweder die Wahrheit sagen, wenn ich gehe, oder eine Luege. (Morell zoegernd:) Marchbanks, es ist manchmal entschuldbar-- (Marchbanks ihn unterbrechend:) Zu luegen--ich weiss! Diesmal wird es aber vergeblich sein! Leben Sie wohl, Herr Pfarrer! (Wie er sich endlich zur Tuer wendet, geht diese auf und Candida tritt in ibrem Hauskleid ein.) (Candida.) Sie verlassen uns, Eugen? (Sieht ihn genauer an:) Aber, Sie werden doch nicht in diesem Zustand auf die Strasse gehen. Sie sind ein Dichter, sicherlich! Sieh' ihn nur an, Jakob! (Sie fasst Eugen am Rock und zieht ihn nach vorne, ihn Morell zeigend.) Sieh diesen Kragen an und diese Krawatte und dieses Haar. (Zu Eugen:) Man moechte glauben, dass jemand Sie hat erdrosseln wollen! (Die beiden bueten sich, ihr schlechtes Gewissen zu verraten.) Da,--halten Sie still. (Sie knoepft ihm seinen Kragen, bindet sein Halstuch zu einer Schleife und ordnet sein Haar.) So, so! Nun sehen Sie so nett aus, dass ich es doch fuer besser hielte, Sie fruehstueckten mit uns, obwohl Sie es eigentlich nicht sollten, wie ich Ihnen schon gesagt habe. In einer halben Stunde wird das Essen bereit sein. (Sie glaettet sein Halstuch noch mit einer letzten Beruebrung; er kuesst ihr die Hand.) Nicht dumm sein. (Marchbanks.) Ich moechte schon bleiben, gewiss--falls Ihr verehrter Herr Gemahl, der Herr Pastor, nichts dagegen einzuwenden hat. (Candida.) Soll er bleiben, Jakob, wenn er verspricht, ein braver Junge zu sein und mir beim Tischdecken zu helfen? (Marchbanks wendet den Kopf und sieht Morell ueber die Schulter fest an, seine Antwort herausfordernd.) (Morell kurz angebunden:) O ja, gewiss; es waere mir lieb. (Er geht an den Tisch und tut, als ob er mit den Papieren beschaeftigt waere.) (Marchbanks bietet Candida den Arm:) Decken wir den Tisch. (Sie nimmt seinen Arm, dann wenden sie sich zusammen nach der Tuer, im Hinausgehen.) Nun bin ich der gluecklichste Mensch von der Welt! (Morell.) Das war ich auch--vor einer Stunde. (Vorhang) ZWEITER AKT (An demselben Tage, dasselbe Zimmer spaet nachmittags. Der Stuhl fuer Morells Besucher steht wieder an dem Tisch, der womoeglich noch unordentlicher aussiebt als vorhin. Marchbanks, allein und muessig, versucht herauszukriegen, wie die Schreibmaschine arbeitet. Er hoert jemanden kommen und stiehlt sich schuldbewusst fort an das Fenster und tut so, als ob er in die Aussiebt versunken waere. Proserpina Garnett tritt mit ihrem Notizblock ein, der das Stenogramm von Morells Briefen enthaelt. Sie setzt sich an die Schreibmaschine und will mit der Abschrift beginnen. Sie ist viel zu sehr beschaeftigt, um Eugen zu bemerken. Ungluecklicherweise versagt die erste Taste, auf die sie schlaegt.) (Proserpina.) Himmel! Sie haben sich mit der Maschine zu schaffen gemacht, Herr Marchbanks, und es hilft Ihnen nichts, wenn Sie auch noch so ein unschuldiges Gesicht aufsetzen. (Marchbanks schuechtern:) Es tut mir sehr leid, Fraeulein Garnett. Ich wollte nur zu schreiben versuchen. (Proserpina.) Und dabei haben Sie diese Taste verdorben. (Marchbanks ernst:) Ich versichere Ihnen, dass ich die Tasten nicht beruehrt habe. Wahrhaftig nicht. Ich habe nur ein kleines Rad gedreht. (Er zeigt unschluessig auf die Kurbel.) (Proserpina.) Oh, nun verstehe ich. (Sie bringt die Maschine in Ordnung und schwatzt dabei ununterbrochen:) Mir scheint, Sie dachten, es waere eine Art Drehorgel. Man braucht nur die Kurbel da zu drehen, und die Maschine schreibt einem den schoensten Liebesbrief glatt aufs Papier, he? (Marchbanks ernst:) Ich kann mir vorstellen, dass eine Maschine erfunden werden koennte, die Liebesbriefe schreibt.--Es sind ja immer dieselben, nicht wahr? (Proserpina etwas aufgebracht, da jede derartige Unterhaltung--ausser scherzweise einmal--ihren Umgangsformen fernliegt:) Woher soll ich das wissen? Warum fragen Sie mich? (Marchbanks.) Entschuldigen Sie. Ich dachte, dass gescheite Leute--Leute, die Geschaefte besorgen, Briefe schreiben und aehnliche Dinge verrichten koennen--auch immer Liebesangelegenheiten haben. (Proserpina erbebt sich beleidigt:) Herr Marchbanks! (Sie siebt ihn strenge an und gebt sehr wuerdevoll zum Buecherschrank.) (Marchbanks naehert sich ihr demuetig:) Ich hoffe, dass ich Sie nicht beleidigt habe. Ich haette vielleicht auf Ihre Liebesangelegenheiten nicht anspielen sollen. (Proserpina nimmt ein blaues Buch aus einem Fach und wendet sich scharf nach ihm um:) Ich habe keine Liebesangelegenheiten! Wie koennen Sie es wagen, mir so etwas zu sagen? (Marchbanks naiv:) Wirklich? Oh, dann sind Sie auch schuechtern, wie ich, nicht wahr? (Proserpina.) Ich bin gewiss nicht schuechtern: was meinen Sie damit? (Marchbanks geheimnisvoll:) Sie muessen es sein. Das ist der Grund, warum es so wenig echte Liebesgeschichten in der Welt gibt. Wir gehen alle umher und sehnen uns nach Liebe, sie ist die erste Naturnotwendigkeit, das heisseste Gebet unseres Herzens, aber wir wagen es nicht, unsere Wuensche zu aeussern, wir sind zu schuechtern. (Sehr ernst:) Oh, Fraeulein Garnett, was wuerden Sie nicht darum geben, ohne Furcht zu sein,--ohne Scham-- (Proserpina empoert:) Nein, meiner Treu, das ist stark! (Marchbanks trotzig und ungeduldig:) Sagen Sie mir nicht solche Albernheiten. Sie taeuschen mich doch nicht. Wozu soll das sein? Warum scheuen Sie sich, sich mir gegenueber so zu zeigen, wie Sie sind? Ich bin ja selbst genau so wie Sie. (Proserpina.) Wie ich? Bitte, ich weiss nicht recht, wollen Sie damit mir oder sich schmeicheln? (Sie wendet sich ab, um zur Schreibmaschine zurueckzugeben.) (Marchbanks tritt ihr geheimnisvoll in den Weg:) Still! Ich bin auf der Suche nach Liebe, und ich finde sie in unermesslichen Schaetzen in den Herzen anderer aufgespeichert. Aber ich wage es nicht, darum zu bitten,--eine fuerchterliche Schuechternheit schnuert mir die Kehle zu, und ich stehe da, stumm, aerger als stumm, und rede sinnloses Zeug und stammle toerichte Luegen. Und ich sehe die Liebe, nach der ich verschmachte, an Katzen und Hunde und verhaetschelte Voegel vergeudet, weil die kommen und darum bitten. (Beinahe fluesternd:) Man muss Liebe verlangen,--sie ist wie ein Geist, sie kann nicht sprechen, bevor nicht zu ihr gesprochen wird. (Mit seiner gewohnten Stimme, aber mit tiefer Melancholie:) Alle Liebe in der Welt ringt nach Worten, aber sie wagt es nicht, zu sprechen, weil sie zu schuechtern ist, zu schuechtern, zu schuechtern! Das ist die Tragik des Lebens! (Mit einem tiefen Seufzer setzt er sieb in den Besuchsstuhl und vergraebt sein Gesicht in den Haenden.) (Proserpina verwundert, aber ohne ihren gesunden Menschenverstand zu verlieren,--ein Ehrenpunkt fuer sie im Verkehr mit fremden jungen Maennern:) Es gibt aber schlechte Menschen, die diese Schuechternheit gelegentlich ueberwinden, nicht wahr? (Marchbanks faehrt beinahe wuetend auf:) Schlechte Menschen! Das heisst Menschen, die ohne Liebe sind, deshalb sind sie auch ohne Scham! Sie haben den Mut, Liebe zu verlangen, weil sie keine brauchen; sie haben den Mut, sie anzubieten, weil sie keine zu geben haben! (Er sinkt in seinen Stuhl und fuegt traurig hinzu:) Aber wir, die wir Liebe haben und danach brennen, sie mit anderen auszutauschen, wir koennen kein Wort ueber die Lippen bringen. (Schuechtern:) Finden Sie das nicht auch? (Proserpina.) Nehmen Sie sich in acht. Wenn Sie nicht aufhoeren, so zu reden, werde ich das Zimmer verlassen, Herr Marchbanks. Ich tue es wirklich! Das gehoert sich nicht. (Sie nimmt ihren Sitz vor der Schreibmaschine wieder ein, oeffnet das blaue Buch und macht sich bereit, daraus etwas zu kopieren.) (Marchbanks hilflos:) Nichts gehoert sich, was wert ist, dass man darueber spricht! (Er erhebt sich und wandert verloren im Zimmer umher: ) Ich kann Sie nicht begreifen, Fraeulein Garnett. Worueber soll ich denn sprechen? (Proserpina fertigt ihn kurz ab:) Sprechen Sie ueber gleichgueltige Dinge. Sprechen Sie ueber das Wetter. (Marchbanks.) Wuerden Sie es ertragen, ueber gleichgueltige Dinge zu sprechen, wenn ein Kind neben Ihnen stuende, das vor Hunger bitterlich weinte? (Proserpina.) Vermutlich nicht. (Marchbanks.) Nun, ich kann auch nicht ueber gleichgueltige Dinge sprechen, waehrend mein Herz in seinem Hunger bitterlich weint. (Proserpina.) Dann--schweigen Sie. (Marchbanks.) Jawohl, darauf laeuft's immer hinaus, wir schweigen. Unterdrueckt das den Schrei Ihres Herzens--denn es schreit, nicht wahr? Es muss, wenn Sie ueberhaupt ein Herz haben. (Proserpina erhebt sich ploetzlich und presst ihre Hand aufs Herz.) Oh, es ist vergeblich, arbeiten zu wollen, waehrend Sie so reden. (Sie verlaesst ihren kleinen Tisch und setzt sich auf das Sofa. Ihre Gefuehle sind heftig aufgewuehlt.) Es kuemmert Sie gar nichts, ob mein Herz schreit oder nicht, aber es ist mir so, als muesste ich nun doch ueber all das zu Ihnen sprechen. (Marchbanks.) Das brauchen Sie nicht; ich weiss doch, dass es so ist. (Proserpina.) Merken Sie sich: wenn Sie jemals behaupten sollten, dass ich derlei gesagt habe, dann werde ich es leugnen. (Marchbanks mitleidig:) Ja, das weiss ich. Deshalb finden Sie auch nicht den Mut, es ihm zu sagen. (Proserpina aufspringend:) Ihm?! Wem?! (Marchbanks.) Wem es auch sei. Dem Manne, den Sie lieben. Irgend jemandem. Dem Unterpfarrer Herrn Mill vielleicht. (Proserpina verachtungsvoll:) Herrn Mill? Wahrhaftig, das ist der rechte Mann, mir das Herz zu brechen. Da waeren Sie mir noch lieber. (Marchbanks zurueckweichend:) Nein, wirklich! Es tut mit leid, aber daran duerfen Sie nicht denken. Ich-- (Proserpina scharf, geht ans Feuer und bleibt davor stehen, ihm den Ruecken zuwendend:) Oh, fuerchten Sie nichts, Sie sind es nicht. Es ist gar keine bestimmte Person. (Marchbanks.) Ich verstehe. Sie fuehlen, dass Sie jeden Mann lieben koennten, der Ihnen sein Herz anboete-- (Proserpina ausser sich:) Nein, das koennte ich nicht! Jeden, der mir sein Herz anboete! Fuer was halten Sie mich? (Marchbanks entmutigt:) Es ist vergebens, Sie wollen mir keine wirklichen Antworten geben, nur diese leeren Worte, die jedermann sagt. (Er geht nach dem Sofa und setzt sich trostlos nieder.) (Proserpina die es wurmt, in den Augen eines Aristokraten manierlos zu erscheinen:) Wenn Sie originelle Unterhaltung wuenschen, dann ist es besser, Sie sprechen mit sich selbst. (Marchbanks.) Das tun alle Dichter; sie sprechen laut mit sich selbst; und die Welt ueberhoert sie. Aber es ist furchtbar einsam, nicht manchmal auch jemand anders sprechen zu hoeren. (Proserpina.) Warten Sie, bis Herr Morell kommt. Der wird schon mit Ihnen reden. (Marchbanks schaudert.) Oh, Sie brauchen die Nase nicht zu ruempfen, er kann besser sprechen als Sie. (Lebhaft:) Er wird Ihnen den kleinen Kopf schon zurechtsetzen. (Sie ist im Begriff aergerlich an ihren Platz zurueckzugeben, als er, ploetzlich erleuchtet, aufspringt und sie anhaelt.) (Marchbanks.) Ah, jetzt begreife ich! (Proserpina erroetend:) Was begreifen Sie? (Marchbanks.) Ihr Geheimnis! Sagen Sie mir, ist es wirklich und wahrhaftig moeglich, dass eine Frau ihn liebt? (Proserpina als ob dies ihr ueber den Spass ginge:) Genug! (Marchbanks leidenschaftlich:) Nein, antworten Sie mir! Ich will es wissen, ich muss es wissen, ich kann es nicht begreifen. Ich kann an ihm nichts finden als Worte, fromme Vorsaetze, was die Leute Guete nennen! Sie koennen ihn deswegen doch nicht lieben! (Proserpina versucht, ihn durch ihr kuehles Wesen stutzig zu machen:) Ich weiss ganz einfach nicht, wovon Sie sprechen--ich verstehe Sie nicht. (Marchbanks heftig:) Sie verstehen mich ganz gut. Sie luegen! (Proserpina.) Oh! (Marchbanks.) Sie verstehen, und Sie wissen. (Entschlossen, eine Antwort zu bekommen:) Ist es moeglich, dass eine Frau ihn lieben kann? Ja oder nein! (Proserpina ihm gerade ins Gesicht blickend:) Ja! (Er bedeckt sein Gesicht mit den Haenden.) Was in aller Welt fehlt Ihnen denn? (Er nimmt die Haende herab und sieht sie an. Erschreckt ueber das traurige Gesicht, das sich ihr darbietet, eilt sie so weit wie moeglich von ihm fort, behaelt aber ihre Augen auf ihn gerichtet, bis er sich von ihr abwendet und nach dem Kinderstuhl am Kamin geht, wo er sich in tiefster Trostlosigkeit niederlaesst. Proserpina eilt zur Tuer, die Tuer geht auf und Burgess tritt ein. Als sie ihn erblickt, ruft sie aus:) Gott sei Dank, es kommt jemand! (Setzt sich wieder beruhigt an ihren Tisch. Sie legt einen neuen Bogen in die Maschine, waehrend Burgess zu Eugen hinuebergebt.) (Burgess beflissen, sich um den vornehmen Besucher zu kuemmern:) Na, gehoert sich das, wie man Sie hier sich selbst ueberlaesst, Herr Marchbanks? Ich bin gekommen, Ihnen Gesellschaft zu leisten. (Marchbanks siebt zu ihm mit einer Bestuerzung auf, die Burgess aber gar nicht merkt.) Jakob empfaengt eine Deputation im Speisezimmer, und Candy ist oben und unterrichtet eine junge Naeherin, fuer die sie sich interessiert. Sie sitzt bei ihr und lehrt sie lesen, in einem frommen Buche: die himmlischen Zwillinge. (Teilnahmsvoll:) Sie muessen es hier recht langweilig finden, so ohne einen Menschen, mit dem Sie reden koennen, ausser der Schreiberin. (Proserpina aeusserst erbittert:) Er wird sich jetzt ganz wohl fuehlen, da er das Glueck hat, Ihre gebildete Unterhaltung zu geniessen,--das ist schon ein Trost. (Sie beginnt mit heftigem Geraeusch zu schreiben.) (Burgess erstaunt ueber ihre Kuehnheit:) Mit Ihnen hab' ich nicht gesprochen, soviel ich weiss, Sie junges Ding! (Proserpina scharf zu Marchbanks:) Haben Sie jemals solche Manieren gesehen, Herr Marchbanks? (Burgess mit wichtigtuendem Ernst:) Herr Marchbanks ist ein Edelmann, der seine Stellung kennt; das ist mehr, als manche Leute von sich sagen koennen. (Proserpina zornig:) Gluecklicherweise gehoeren Sie und ich nicht zu den "Damen" und "Herren"; ich wuerde Ihnen schon meine Meinung sagen, wenn Herr Marchbanks nicht zugegen waere. (Sie zieht den Brief so heftig aus der Maschine heraus, dass er zerreisst.) So! nun habe ich den Brief verdorben, jetzt kann ich noch mal von vorne anfangen. Oh, ich kann mich nicht beherrschen.--Sie dummer alter Schafskopf, Sie! (Burgess erhebt sich, atemlos vor Entruestung:) Was, ein dummer alter Schafskopf bin ich?! Das ist stark! (Ausser Atem:) Gut, gut! Warten Sie nur, das werde ich Ihrem Prinzipal sagen--ich will Sie lehren--Sie sollen es sehen! (Proserpina.) Ich-- (Burgess sie unterbrechend:) Genug, Ihr Reden nuetzt Ihnen nun nichts mehr, Sie sollen mich kennen lernen! (Proserpina schiebt ihre Walze mit einem zornigen Stoss herum und setzt verachtungsvoll ihre Arbeit fort.) Nehmen Sie keine Notiz von ihr, Herr Marchbanks, sie ist es nicht wert. (Er setzt sich stolz wieder hin.) (Marchbanks fuerchterlich nervoes und verlegen:) Waere es nicht besser, wir wuerden von etwas anderem sprechen. Ich--ich glaube nicht, dass Fraeulein Garnett es boese gemeint hat. (Proserpina mit fester Ueberzeugung:) Ob ich es boese gemeint habe! Doch! (Burgess.) Ich will mich nicht so weit erniedrigen, von ihr ueberhaupt noch Notiz zu nehmen. (Eine elektrische Klingel laeutet zweimal.) (Proserpina rafft Notizhlock und Papier zusammen:) Das gilt mir! (Sie eilt hinaus.) (Burgess ihr nachrufend:) Oh, wir koennen Sie entbehren. (Er freut sich ueber den Triumph, das letzte Wort behalten zu haben, und doch halb und halb geneigt, noch mehr zu sagen, sieht er ihr einen Augenblick lang nach, dann laesst er sich auf seinen Platz neben Eugen nieder und spricht sehr vertraulich zu ihm:) Jetzt, wo wir allein sind, Herr Marchbanks, lassen Sie mich Ihnen einen freundlichen Wink geben, den ich nicht jedermann geben wuerde. Wie lange kennen Sie meinen Schwiegersohn Jakob schon? (Marchbanks.) Ich weiss nicht. Ich kann mir Daten niemals merken, --vielleicht einige Monate. (Burgess.) Haben Sie nie etwas Sonderbares an ihm bemerkt? (Marchbanks.) Nicht dass ich wuesste. (Burgess ausdrucksvoll:) Das werden Sie auch schwerlich. Darin liegt eben die Gefahr. Nun--er ist verrueckt. (Marchbanks.) Verrueckt?! (Burgess.) Total verrueckt. Beobachten Sie ihn nur, und Sie werden es selbst finden. (Marchbanks aengstlich:) Aber das scheint Ihnen gewiss nur so, weil seine Ansichten-- (Burgess beruehrt Eugens Knie mit dem Zeigefinger und drueckt es, um seine Aufmerksamkeit zu erregen:) Genau dasselbe habe ich frueher gedacht, Heir Marchbanks. Ich glaubte lange genug, es waeren nur seine Ansichten, obwohl Ansichten zu sehr ernsten Angelegenheiten werden, sobald Leute danach handeln, wie er; aber danach habe ich nicht geurteilt. (Er siebt umher, um sich zu ueberzeugen, dass sie allein sind, und neigt sich zu Eugens Ohr.) Was, glauben Sie, hat er heute morgen in diesem Zimmer zu mir gesagt? (Marchbanks.) Was denn? (Burgess.) Er sagte mir, dass ich--so wahr, als wir hier sitzen--er sagte ganz ruhig: "Ich bin ein Narr und Sie sind ein Schurke"... Ich ein Schurke--bedenken Sie nur--und dann schuettelte er mir die Hand dazu, als ob seine Meinung schmeichelhaft fuer mich waere. Wollen Sie behaupten, dass so ein Mensch nicht verrueckt ist? (Morell von aussen "Proserpina" rufend, waehrend er die Tuer oeffnet:) Schreiben Sie alle Namen und Adressen auf, Fraeulein Garnett. (Proserpina aus der Entfernung:) Jawohl, Herr Pastor! (Morell tritt ein, mit den Dokumenten der Deputation in der Hand.) (Burgess beiseite zu Marchbanks:) Oh, da ist er. Beobachten Sie ihn nur, Sie werden schon sehen. (Erhebt sich mit wichtiger Miene:) Ich bedaure, Jakob, mich bei Ihnen beklagen zu muessen. Ich tue es nicht gerne, aber ich fuehle, dass es meine Pflicht und mein Recht ist. (Morell.) Was ist denn geschehen? (Burgess.) Herr Marchbanks wird es bestaetigen, er war Zeuge. (Sehr feierlich:) Ihre Schreiberin vergass sich so weit, mich einen dummen alten Schafskopf zu nennen. (Morell mit groesster Herzlichkeit:) Oh, sieht das Prossi nicht ganz aehnlich? Sie ist so aufrichtig, sie kann sich nicht beherrschen. Arme Prossi, ha, ha! (Burgess zitternd vor Wut:) Und erwarten Sie, dass ich mir das von ihresgleichen ruhig gefallen lasse? (Morell.) Bah, Unsinn. Nehmen Sie keine Notiz davon, lassen Sie's gut sein. (Er geht an das Schreibpult und legt die Papiere in eines der Schubfaecher.) (Burgess.) Oh, ich mache mir nichts daraus. Ich bin ueber derlei erhaben. Aber war es recht? Das ist es, was ich zu wissen wuensche! --war es recht? (Morell.) Das ist eine Frage fuer die Kirche und nicht fuer Laien. Wurde Ihnen dadurch irgendein Schaden zugefuegt? danach muessen Sie fragen--selbstverstaendlich "nein". Also denken Sie nicht mehr daran. (Er laesst den Gegenstand fallen, geht nach seinem Platz an den Tisch und beginnt an seiner Korrespondenz zu arbeiten.) (Burgess beiseite zu Marchbanks:) Was habe ich Ihnen gesagt? Total verrueckt! (Er geht an den Tisch und fragt mit der Hoeflichkeit eines Hungrigen:) Wann wird zu Tisch gegangen, Jakob? (Morell.) Erst nach einigen Stunden. (Burgess mit klagender Entsagung:) Dann geben Sie mir, bitte, ein huebsches Buch, am Kamin zu lesen--sein Sie so gut, Jakob. (Morell.) Was fuer ein Buch,--ein gutes? (Burgess beinahe mit einem Aufschrei des Widerwillens:) Nein. Irgend was Lustiges, womit man die Zeit totschlagen kann. (Morell nimmt eine illustrierte Zeitschrift vom Tisch und bietet sie ihm an, er ergreift sie demuetig:) Ich danke Ihnen, Jakob. (Er geht zurueck zum Kamin, laesst sich bequem in den grossen Stuhl nieder und liest.) (Morell waehrend er schreibt:) Candida wird gleich kommen und Ihnen Gesellschaft leisten. Sie ist jetzt fertig mit ihrer Schuelerin und fuellt die Lampen. (Marchbanks faehrt empor in wildem Entsetzen:) Aber das wird ihre Haende beschmutzen,--das kann ich nicht dulden, Herr Pastor, das ist eine Schande; ich werde die Lampen fuellen. (Er wendet sich nach der Tuer.) (Morell.) Lassen Sie es lieber sein. (Marchbanks bleibt unschluessig stehen: ) Sie wuerde Ihnen hoechstens meine Schuhe zu putzen geben, um mir die Arbeit zu ersparen, es morgen frueh selbst zu tun. (Burgess mit grosser Missbilligung:) Halten Sie kein Maedchen mehr, Jakob? (Morell.) Ja, aber es ist keine Sklavin, und das Haus sieht aus, als ob ich drei hielte. Daraus folgt, dass jeder mithelfen muss. Das geht ganz gut. Prossi und ich koennen nach dem Fruehstueck, waehrend wir abwaschen, ueber unsere Geschaefte sprechen; das Abwaschen macht keine Muehe, wenn es zwei besorgen. (Marchbanks gequaelt:) Glauben Sie, dass jede Frau so grobkoernig ist wie Fraeulein Garnett? (Burgess pathetisch:) Sie haben ganz recht, Herr Marchbanks, vollkommen recht,--die ist grobkoernig! (Morell ruhig und bedeutungsvoll:) Marchbanks! (Marchbanks.) Ja. (Morell.) Wie viele Dienstboten haelt Ihr Vater? (Marchbanks.) Oh, ich weiss nicht. (Er gebt unbehaglich an das Sofa zurueck, als ob er sich so weit fort wie moeglich vor Morells Fragen retten moechte, setzt sich in grosser Verstoertheit und denkt an das Petroleum.) (Morell sehr ernst:) So viele, dass Sie es nicht einmal wissen. (angriffsbereit:) Immerhin, wenn irgendeine grobkoernige Arbeit zu verrichten ist, dann klingeln Sie und halsen sie jemand anders auf--das ist eine der grossen Tatsachen in Ihrem Dasein, nicht wahr? (Marchbanks.) Oh, quaelen Sie mich nicht. Die eine grosse Tatsache hier ist jetzt, dass die wundervollen Finger Ihrer Frau mit Petroleum beschmutzt werden, waehrend Sie bequem hier sitzen und darueber Reden halten--endlose Reden und Predigten--Worte--Worte--nichts als Worte! (Burgess dem diese Erwiderung sehr gelegen kommt:) Hoert, hoert! Besser konnte er's ihm nicht geben! (Strahlend:) Da haben Sie es, Jakob! Ganz so ist es. (Candida trat ein, in einer reinen Schuerze, mit einer geputzten und gefuellten, zum Anzuenden fertigen Arbeitslampe. Sie stellt sie auf den Tisch neben Morell, damit er sie zur Hand hat.) (Candida reibt ihre Fingerspitzen gegeneinander, mit einem leichten Krausziehen ihrer Nase:) Wenn Sie bei uns bleiben, Eugen, ich glaube, dann werde ich Ihnen das Fuellen der Lampe uebertragen. (Marchbanks.) Ich werde ueberhaupt nur unter der Bedingung bleiben, dass Sie mir alle grobe Arbeit uebertragen. (Candida.) Das ist zwar sehr galant, aber ich moechte doch vorher wissen, wie Sie sie machen. (Wendet sich zu Morell:) Jakob, du hast in meiner Abwesenheit nicht gehoerig nach dem Rechten gesehen. (Morell.) Was habe ich denn getan oder nicht getan, meine Liebe? (Candida ernstlich aergerlich:) Meine eigene kleine Lieblingsnagelbuerste wurde zum Stiefelputzen verwendet. (Ein herzzerreissender Klagelaut entringt sich Marchbanks' Brust. Burgess sieht sich erstaunt um, Candida eilt ans Sofa:) Was ist los? Sind Sie krank, Eugen? (Marchbanks.) Nein, nicht krank. Nur Jammer erfasst mich, Jammer, Jammer! (Er schlaegt die Haende vor das Gesicht.) (Burgess erschreckt:) Was haben Sie, Herr Marchbanks? Oh, das ist schlimm in Ihrem Alter; Sie muessen trachten, sich das Trinken nach und nach abzugewoehnen. (Candida beruhigt:) Unsinn, Papa. Das ist nur poetischer Jammer. Nicht wahr, Eugen? (Streichelt ihn.) (Burgess verlegen:) Oh, poetischen Jammer hat er,--verzeihen Sie, das wusste ich nicht. (Er wendet sich wieder nach dem Feuer, seine Unueberlegtheit bereuend.) (Candida.) Was ist's denn, Eugen? Wegen der Nagelbuerste? (Er schaudert.) Es ist ja nichts dabei, lassen Sie's gut sein. (Sie setzt sich neben ihn.) Wollen Sie mir eine huebsche neue schenken, mit Elfenbeinruecken und eingelegtem Perlmutter? (Marchbanks sanft und melodisch, aber traurig und schmachtend:) Nein, keine Nagelbuerste, aber ein Boot, eine kleine Schaluppe, um darin fortzusegeln, weit fort von der Welt, dorthin, wo Marmorboeden vom Regen gewaschen und von der Sonne getrocknet werden, und wo der Suedwind die wundervoll gruenen und purpurnen Teppiche fegt. Oder einen Wagen moechte ich Ihnen schenken; uns hinaufzutragen in den Himmel, wo die Lampen Sterne sind und nicht taeglich mit Petroleum gefuellt werden muessen. (Morell barsch:) Und wo es nichts anderes zu tun gibt, als faul, selbstsuechtig und unnuetz zu sein. (Candida unangenehm beruehrt:) Oh, Jakob, wie kannst du nur alles so verderben! (Marchbanks feurig:) Ja: faul, selbstsuechtig und unnuetz, das heisst schoen, frei und gluecklich sein. Hat das nicht jeder Mann mit seiner ganzen Seele fuer die Frau gewuenscht, die er liebte? Das ist auch mein Ideal. Was ist das Ihre und das all der entsetzlichen Menschen, die in diesen fuerchterlichen Haeuserreihen wohnen? Predigten und Schuhbuersten! Fuer Sie die Predigten und fuer Ihre Frau die Buerste! (Candida drollig:) Er putzt die Schuhe, Eugen. Morgen werden Sie sie putzen muessen, weil Sie das von ihm gesagt haben. (Marchbanks.) Oh, sprechen Sie nicht von Schuhen; Ihre Fuesse wuerden auch in einer Wildnis schoen bleiben. (Candida.) Meine Fuesse wuerden auf der Hackneystrasse ohne Schuhe nicht sehr schoen aussehn. (Burgess daran Anstoss nehmend:) Geh, Candy, sei nicht ordinaer. Herr Marchbanks ist daran nicht gewoehnt. Du hast ihm schon wieder Jammer eingefloesst,--ich meine poetischen Jammer. (Morell schweigt, scheinbar ist er mit seinen Briefen beschaeftigt. Tatsaechlich ist er aber ueber seine neue und beunruhigende Erfahrung in sorgenvolle Gedanken vertieft: je sicherer er seiner moralischen Ausfaelle ist, desto sicherer und wirkungsvoller pariert sie Eugen. Es schmerzt Morell sehr, dass er einen Menschen zu fuerchten anfaengt, den er nicht achten kann. Fraeulein Garnett kommt mit einem Telegramm herein.) (Proserpina haendigt das Telegramm Morell ein:) Rueckantwort bezahlt, der Bote wartet. (Zu Candida, waehrend sie zu ihrer Maschine geht und sich setzt:) Marie wartet auf Sie in der Kueche, Frau Morell. (Candida erhebt sich:) Die Zwiebeln sind gekommen. (Marchbanks krampfhaft:) Zwiebeln!? (Candida.) Ja, Zwiebeln, und nicht einmal spanische! garstige, kleine rote Zwiebeln! Sie koennen mir helfen, sie zu zerschneiden; kommen Sie. (Sie nimmt ihn am Handgelenk und laeuft, ihn nachziehend, hinaus. Burgess erhebt sich verbluefft und starrt ihnen, auf dem Kaminteppich stehend, nach.) (Burgess.) Candy sollte den Neffen eines Pairs nicht so behandeln. Das geht doch zu weit, Jakob. Hat er oefters solche komischen Anfaelle? (Morell kurz, ein Telegramm schreibend:) Ich weiss nicht. (Burgess sentimental:) Er spricht sehr nett. Ich habe immer etwas Sinn fuer Poesie gehabt. Candy schlaegt mir darin nach. Ich musste ihr immer Maerchen erzaehlen, als sie noch ein so kleines Maedchen war. (Er haelt die Hand ungefaehr zwei Fuss hoch ueber den Fussboden.) (Morell beschaeftigt:) So, wirklich? (Er loescht das Telegramm ab und geht hinaus.) (Proserpina.) Haben Sie die Maerchen, die Sie Ihrer Tochter erzaehlten, selbst erfunden? (Burgess wuerdigt sie keiner Antwort und nimmt vor dem Kamin die Stellung tiefster Verachtung gegen sie ein.) (Proserpina sehr ruhig:) Ich haette nie gedacht, dass Sie derlei koennten. Uebrigens moechte ich Sie doch warnen, da Sie so grosses Interesse an Herrn Marchbanks nehmen. Er ist verrueckt. (Burgess.) Verrueckt! Was? Der auch? (Proserpina.) Total verrueckt! Ich kann Ihnen gar nicht sagen, wie sehr er mich vorhin erschreckte--das kann ich Ihnen versichern, gerade bevor Sie kamen.--Haben Sie das merkwuerdige Zeug, das er sprach, nicht gehoert? (Burgess.) So, das ist also der poetische Jammer? Potztausend, es ist mir selbst schon ein oder zweimal aufgefallen, dass es nicht ganz richtig mit ihm ist. (Er durchschreitet das Zimmer und hebt seine Stimme, waehrend er geht:) Na, das ist ein huebsches Irrenhaus fuer einen Menschen, der ausser Ihnen niemanden hat, sich um ihn zu kuemmern. (Proserpina waehrend er bei ihr vorbeikommt:) Ja, wie fuerchterlich waere es, wenn Ihnen da etwas zustiesse. (Burgess hochmuetig:) Erlauben Sie sich keine Bemerkungen! Sagen Sie Ihrem Prinzipal, dass ich in den Garten gegangen bin, meine Pfeife zu rauchen. (Proserpina spottend:) Oh!--(Ehe Burgess erwidern kann, kehrt Morell zurueck.) (Burgess gefuehlvoll:) Ich gehe in den Garten, meine Pfeife zu rauchen, Jakob. (Morell kurz angebunden:) Schon gut, schon gut! (Burgess geht wuerdevoll hinaus, wie ein mueder alter Mann. Morell steht vor dem Tisch, wendet seine Papiere um und spricht zu Proserpina hinueber, halb humorvoll, halb geistesabwesend.) (Morell.) Nun, Prossi, warum haben Sie meinen Schwiegervater mit Schimpfnamen belegt? (Proserpina wird feuerrot und sieht rasch zu ihm auf, halb vorwurfsvoll, halb erschrocken:) Ich--(Sie bricht in Traenen aus.) (Morell lehnt sich mit leisem Humor zu ihr hinueber und troestet sie:) Oh, lassen Sie, lassen Sie nur! es ist ja nichts dabei: er ist ein alter Schafskopf, nicht wahr? (Mit einem krampfhaften Schluchzen stuerzt sie nach der Tuer und verschwindet, die Tuer zuschlagend. Morell schuettelt resigniert den Kopf, seufzt und geht muede an seinen Stuhl, wo er sich an die Arbeit setzt. Er sieht alt und vergraemt aus. Candida kommt herein; sie hat ihre haeusliche Arbeit beendet und die Schuerze abgenommen. Sie bemerkt sofort Morells niedergeschlagenes Aussehen, setzt sich ruhig auf den Besuchsstuhl und betrachtet ihn aufmerksam. Sie schweigt.) (Morell sieht auf, die Feder einen Moment absetzend:) Nun, wo ist Eugen? (Candida.) Er waescht sich die Haende in der Waschkueche--unter der Wasserleitung. Er wird ein ausgezeichneter Koch werden, wenn er nur erst seine Furcht vor Marie ueberwunden hat. (Morell kurz:) Gewiss, zweifellos. (Er faengt wieder zu schreiben an.) (Candida geht naeher und legt ihre Haende sanft auf die seinen, um ihn aufzuhalten, und sagt:) Komm zu mir, mein Lieber. Lass dich anschauen. (Er legt seine Feder weg und stellt sich ihr zur Verfuegung; sie lasst ihn aufstehen, zieht ihn ein wenig vom Tisch fort und betrachtet ihn mit kritischen Blicken.) Wende dein Gesicht einmal gegen das Licht. (Sie stellt ihn mit dem Gesicht gegen das Fenster.) Mein alter Junge sieht nicht gut aus,--hat er sich ueberanstrengt? (Morell.) Nicht mehr als gewoehnlich. (Candida.) Er sieht sehr bleich und grau, runzelig und alt aus. (Seine Melancholie nimmt zu und Candida fasst sie geflissentlich lustig an.) Komm her. (Sie zieht ihn zum Lehnstuhl:) Du hast fuer heute genug geschrieben. Ueberlass Prossi alles Weitere, und wir wollen ein bisschen plaudern. (Morell.) Aber-- (Candida nachdruecklich:) Ja, du musst mit mir plaudern. (Sie zwingt ihn, Platz zu nehmen, und setzt sich auf den Teppich zu seinen Fuessen.) Nun (seine Haende streichelnd:) faengst du schon an, besser auszusehen. Warum gibst du alle diese ermuedenden Extraarbeiten nicht auf? Jeden Abend gehst du aus, um zu predigen und zu reden. Freilich, was du sagst, ist alles schoen und gut; aber es nuetzt ja nichts: sie geben nicht das geringste darauf. Sie sind natuerlich deiner Ansicht--aber was hat man davon, wenn Leute mit einem einverstanden sind und dann hingehen und das Gegenteil von allem tun, sobald man den Ruecken kehrt? Denke nur an unsere Gemeinde in St. Dominik? Warum wollen sie dich jeden Sonntag ueber Christentum reden hoeren? Nur weil sie mit ihren Geschaeften und Geldangelegenheiten sechs Tage lang so sehr beschaeftigt waren, dass sie am siebenten Tage nichts davon hoeren moegen. Da wollen sie ruhen und sich erbauen, damit sie frisch zurueckkehren und besser als je dem Gelde nachjagen koennen. Du hilfst ihnen nur noch dabei, anstatt sie daran zu hindern. (Morell mit energischem Ernst:) Du weisst sehr gut, Candida, dass ich sie deswegen oft tuechtig ausschelte. Aber wenn ihr Kirchgang ihnen nichts anderes bedeutet als Ruhe und Zerstreuung, warum waehlen sie dann nichts Lustigeres, Angenehmeres? Es muss doch etwas Gutes in der Tatsache liegen, dass sie die Kirche am Sonntag schlimmeren Orten vorziehen. (Candida.) Oh, die schlimmen Orte sind eben nicht offen, und selbst wenn sie es waeren, sie wuerden sich nicht trauen hinzugehen, aus Angst gesehn zu werden. Ueberdies, lieber Jakob, predigst du so wundervoll, dass es fuer sie so gut wie ein Schauspiel ist. Warum, glaubst du, sind die Frauen alle so begeistert? (Morell verletzt:) Candida! (Candida.) Oh, ich weiss. Du Ahnungsloser, du glaubst, dein Sozialismus und deine Religion machen es,--doch wenn's bloss das waere, dann wuerden sie tun, was du ihnen sagst, anstatt nur hinzugehen und dich anzustarren;--sie haben alle Prossis Leiden. (Morell.) Prossis Leiden? Was meinst du damit, Candida? (Candida.) Ja, Prossis und das all der anderen Sekretaerinnen, die du hattest. Warum, meinst du, laesst sich Prossi herbei, abzuwaschen, Kartoffeln zu schaelen und sich auf alle moegliche Art zu erniedrigen, da sie bei dir doch sechs Schillinge in der Woche weniger verdient, als sie in einem Bureau in der City bekaeme? Sie ist verliebt in dich, das ist der Grund,--sie sind alle in dich verliebt. Und du bist ins Predigen verliebt, weil du das so wundervoll kannst. Und du glaubst, es sei alles Enthusiasmus fuer das Himmelreich auf Erden--und sie glauben es auch--o du lieber Dummkopf, du! (Morell.) Candida, was ist das fuer ein schrecklicher, seelenmordender Zynismus? Scherzest du oder--ist es moeglich--bist du eifersuechtig? (Candida seltsam gedankenvoll:) Ja, manchmal bin ich etwas eifersuechtig. (Morell unglaeubig:) Auf Prossi? (Candida lachend:) Nein, nein, nein. Nicht eifersuechtig a u f jemanden. Eifersuechtig f ue r jemanden, der n i c h t so geliebt wird, wie er sollte. (Morell.) Bin ich das? (Candida.) Du? Nein. Du bist verwoehnt durch Liebe und Verehrung, mehr, als fuer dich gut ist.--Nein, ich meine Eugen. (Morell betroffen:) Eugen? (Candida.) Es scheint mir ungerecht, dass du alle Liebe besitzen sollst und er keine, obgleich er sie so viel noetiger hat als du. (Eine krampfhafte Bewegung schuettelt ihn gegen seinen Willen.) Was ist dir, quaele ich dich? (Morell rasch:) Durchaus nicht. (Er sieht sie mit unruhiger Spannung an.) Du weisst, dass ich dir blindlings vertraue, Candida. (Candida.) Du eitler Mann. Bist du deiner Unwiderstehlichkeit so sicher? (Morell.) Candida, du verletzest mich. Ich habe an Unwiderstehlichkeit nie gedacht. Deiner Froemmigkeit, deiner Reinheit vertraue ich. (Candida.) Was fuer haessliche, ungemuetliche Dinge du mir da sagst,--oh, du bist wirklich ein Pastor, Jakob, ein Pastor durch und durch! (Morell ins Herz getroffen, sich von ihr abwendend:) Das sagt Eugen auch. (Candida neigt sich mit lebhaftem Interesse zu ihm, die Arme auf seinen Knien:) Eugen hat immer recht. Er ist ein wundervoller Junge, ich habe ihn lieber und lieber gewonnen waehrend der ganzen Zeit, wo ich fort war. Weisst du, Jakob, dass er, obwohl er selbst nicht die leiseste Ahnung davon hat, im Begriff steht, sich wahnsinnig in mich zu verlieben? (Morell grimmig:) Oh, er selbst hat nicht die leiseste Ahnung davon, wirklich? (Candida.) Nicht die geringste. (Sie nimmt ihre Arme von seinen Knien und wendet sich gedankenvoll ab, wobei sie eine bequeme Stellung einnimmt, die Haende im Schoss.) Eines Tages wird er es wissen,--wenn er erwachsen und erfahren sein wird wie du--da wird er erkannt haben, dass ich es wissen musste!--Ich bin neugierig, was er dann von mir denken wird. (Morell.) Nichts Boeses, Candida. Ich hoffe und vertraue, nichts Boeses. (Candida zweifelnd:) Das wird davon abhaengen... (Morell erschreckt:) Abhaengen! (Candida ihn ansehend:) Ja, es wird davon abhaengen, was er bis dahin erleben wird. Er sieht sie verstaendnislos an. Begreifst du das nicht? Es haengt ganz davon ab, wie und durch wen ihm bewusst wird, was die Liebe eigentlich ist. Ich meine, es kommt auf die Frau an, die ihn die Liebe lehren wird. (Morell ganz verwirrt:) Nein,--ja,--ich weiss nicht, was du meinst. (Candida erklaerend:) Wenn eine gute Frau sie ihn lehrt, dann wird alles gut und schoen sein, dann wird er mir verzeihen. (Morell.) Verzeihen?! (Candida fortfahrend:) Aber gesetzt den Fall, dass eine schlechte Frau sie ihn lehrt, wie dies vielen Maennern, ganz besonders dichterisch veranlagten, geschieht, die alle Frauen fuer Engel halten,--gesetzt den Fall, sage ich, dass er den Wert der Liebe erst dann entdeckt, wenn er sie fortgeworfen und sich in seiner Unwissenheit selbst erniedrigt hat, --glaubst du, dass er mir dann auch verzeihen wird? (Morell.) Dir verzeihen? Weswegen? (Candida bemerkt, wie beschraenkt er ist, faehrt etwas enttaeuscht, aber sanft fort:) Verstehst du das nicht? (Er schuettelt den Kopf; sie wendet sich wieder zu ihm, um es ihm mit zartester Vertraulichkeit zu erklaeren.) Ich meine: wird er mir verzeihen, dass ich selbst ihn die Liebe nicht gelehrt, sondern ihn schlechten Frauen ueberlassen habe? meiner Froemmigkeit--meiner Reinheit wegen, wie du es nennst! Oh, Jakob, wie wenig du mich doch verstehst, dass du nur immer von deinem Vertrauen in meine Froemmigkeit und Reinheit sprichst. Ich wuerde sie beide dem armen Eugen so gerne geben, wie einem frierenden Bettler meinen Schal, wenn nichts anderes mich davon abhielte. Vertraue auf meine Liebe zu dir; denn wenn die nicht waere, aus deinen Predigten wuerde ich mir sehr wenig machen--das sind bloss leere Phrasen, mit denen du andere und dich selbst jeden Tag beluegst. (Sie ist im Begriff aufzustehen.) (Morell.) Seine Worte! (Candida schnell innehaltend, indem sie aufsteht:) Wessen Worte? (Morell.) Eugens! (Candida entzueckt:) Er hat immer recht. Er versteht dich, er versteht mich, er versteht Prossi; und du, Jakob, du verstehst nichts. (Sie lacht und kuesst ihn, um ihn zu troesten; er weicht wie gestochen zurueck und springt auf.) (Morell.) Wie kannst du mich kuessen, waehrend du--oh, Candida! (Mit Schmerz in der Stimme:) Ich haette vorgezogen, dass du mir einen Widerhaken ins Herz gestossen haettest, statt mir diesen Kuss zu geben. (Candida erhebt sich beunruhigt:) Mein Lieber, was ist denn mit dir? (Morell schuettelt sie wild ab:) Beruehre mich nicht! (Candida erstaunt:) Jakob! Sie werden durch den Eintritt Marchbanks' und Burgess' unterbrochen, der in der Naehe der Tuer stehen bleibt und sie anstarrt, waehrend Eugen sich zwischen sie nach vorwaerts draengt. (Marchbanks.) Ist etwas vorgefallen? (Morell totenbleich, mit eiserner Selbstbeherrschung:) Nichts, als dass entweder Sie heute morgen recht hatten, oder dass Candida verrueckt ist! (Burgess laut protestierend:) Was? Candy auch verrueckt? Das ist zuviel! (Er durchschreitet das Zimmer bis zum Kamin, protestiert waehrend des Gehens und klopft dort seine Pfeifenasche aus. Morell setzt sich verzweifelt nieder, lehnt sich nach vorne, um sein Gesicht zu verbergen, und verschlingt seine Finger krampfhaft, damit sie ruhig bleiben.) (Candida zu Morell, erleichtert und lachend:) Oh, du bist nur verletzt--ist das alles? Wie konventionell ihr unkonventionellen Leute doch alle seid! (Burgess.) Benimm dich anstaendig, Candy. Was wird Herr Marchbanks von dir denken? (Candida.) Das kommt davon, weil Jakob mir immer predigt, nur mir selbst Rechenschaft abzulegen und nie darauf zu achten, was andere Leute ueber mich denken koennten. Das ist ausserordentlich schoen und gut, solange ich derselben Meinung bin wie er. Aber jetzt--weil ich gerade etwas anderer Meinung war jetzt schau ihn dir an, schau nur! (Sie weist auf Morell, hoechst belustigt. Eugen beobachtet ihn und presst seine Hand heftig ans Herz, als wenn ihn irgendein Schmerz getroffen haette; er setzt sich auf das Sofa wie ein Mensch, der einer Tragoedie beiwohnt. Burgess auf dem Kaminteppich:) Sie hat recht, Jakob, Sie sehen wirklich nicht so wuerdig aus wie gewoehnlich. (Morell mit einem Lachen, das ein halbes Schluchzen ist:) Das kann schon sein, verzeiht mir alle,--ich wusste nicht, dass ich eine Stoerung verursache. (Sich zusammenraffend:) Es ist schon gut, schon gut, schon gut. (Er geht zurueck nach seinem Platz am Tisch und setzt sich, um an seinen Papieren wieder mit entschlossener Heiterkeit weiterzuarbeiten.) (Candida geht nach dem Sofa und setzt sich neben Marchbanks, noch in heiterster Stimmung:) Nun, Eugen, warum sind Sie traurig? Haben Sie vom Zwiebelschaelen geweint? (Morell kann sich nicht enthalten, sie zu beobachten.) (Marchbanks beiseite zu ihr:) Ihre Grausamkeit ist es, die mich traurig macht.--Ich hasse Grausamkeit. Es ist entsetzlich, mitanzusehen, wie ein Mensch einem andern weh tut. (Candida ihn streichelnd, ironisch:) Armer Junge, war ich grausam? Habe ich ihn kleine, rote, haessliche Zwiebel schaelen lassen? (Marchbanks ernst:) Oh, halten Sie ein, halten Sie ein: ich meine nicht mich! Er hat Ihretwegen furchtbar gelitten. Ich fuehle seinen Schmerz in meinem eigenen Herzen. Ich weiss, dass Sie nicht schuld daran sind,--es ist etwas geschehen, was geschehen musste; aber nehmen Sie es nicht so leicht. Mich schaudert, wenn Sie ihn quaelen und dabei lachen. (Candida unglaeubig:) Ich Jakob quaelen?! Unsinn, Eugen; wie Sie uebertreiben! Torheit! (Sie blickt hinueber zu Jakob, der seine Schreiberei hastig fortsetzt; sie gebt zu ihm und steht hinter seinem Stuhl, sich ueber ihn beugend.) Arbeite nicht laenger, mein Lieber, komm und plaudere mit uns. (Morell liebevoll, aber bitter:) Ach nein: ich kann nicht plaudern, ich kann nur predigen. (Candida ihn streichelnd:) Nun, dann komm und predige! (Burgess heftig widersprechend:) Ach nein, Candy! zum Henker mit dem Predigen! (Alexander Mill kommt herein und sieht aengstlich und wichtig aus.) (Mill beeilt sich, Candida zu begruessen:) Wie geht es Ihnen, Frau Morell? Wie freue ich mich, dass Sie wieder zurueck sind. (Candida.) Ich danke Ihnen, Herr Mill. Sie kennen Eugen, nicht wahr? (Mill.) O ja! Wie geht es Ihnen, Marchbanks? (Marchbanks.) Danke, gut! (Mill zu Morell:) Ich komme eben aus der Gilde von Sankt Matthaeus. Die Leute sind furchtbar bestuerzt ueber Ihr Telegramm. Es ist doch hoffentlich nichts geschehen? (Candida.) Was hast du denn telegraphiert, Jakob? (Mill zu Candida:) Es war vereinbart, dass er heute abend dort sprechen sollte, sie haben den grossen Saal in der Marestrasse gemietet und eine Menge Geld fuer Plakate ausgegeben. Der Herr Pastor telegraphierte nun, dass er nicht kommen koennte! Es traf sie wie ein Blitz aus heiterem Himmel. (Candida ueberrascht, beginnt zu wittern, dass etwas nicht in Ordnung ist:) Eine Gelegenheit, oeffentlich zu sprechen, hast du ausgeschlagen? (Burgess.) Zum erstenmal in seinem Leben, das moechte ich wetten; --nicht wahr, Candy? (Mill zu Morell:) Man hat beschlossen, Ihnen ein dringendes Telegramm zu schicken, mit der Bitte, Ihren Entschluss zu aendern. Haben Sie es erhalten? (Morell mit muehsam verhaltener Ungeduld:) Ja, ja, ich bekam es. (Mill.) Es war mit bezahlter Rueckantwort. (Morell.) Ja, ich weiss. Ich habe es beantwortet. Ich kann nicht kommen. (Candida.) Aber warum nicht, Jakob? (Morell beinahe heftig:) Weil ich nicht mag! Diese Leute vergessen, dass ich auch ein Mensch bin; sie halten mich fuer eine Redemaschine, die man jeden Abend zu seinem Vergnuegen aufziehen kann. Darf ich nicht auch einmal einen Abend zu Hause haben, mit meiner Frau und meinen Freunden? (Sie sind alle ueber diesen Ausbruch erstaunt mit Ausnahme von Eugen,--sein Ausdruck bleibt unveraendert.) (Candida.) Oh, Jakob, du weisst es selbst: morgen wirst du dann Gewissensbisse haben, und ich werde darunter leiden muessen. (Mill eingeschuechtert, aber dringend:) Ich weiss natuerlich, dass diese Menschen die unvernuenftigsten Anforderungen an Sie stellen; aber sie haben ueberallhin um einen anderen Redner telegraphiert und koennen niemanden mehr bekommen als den Praesidenten des Agnostikerbundes. (Morell rasch:) Nun, das ist ein ausgezeichneter Mann,--was wollen sie denn noch mehr? (Mill.) Aber er besteht immer so fest auf der Scheidung des Sozialismus vom Christentum. Er wird all das Gute, das wir gestiftet haben, zunichte machen,--natuerlich, Sie muessen ja am besten wissen, aber... (Er zoegert.) (Candida schmeichelnd:) O bitte, geh' doch hin, Jakob. Wir kommen alle mit. (Burgess brummend:) Schau, Candy, lass uns lieber gemuetlich zu Hause am Kamin sitzen. Er braucht ja nicht laenger als zwei Stunden wegzubleiben. (Candida.) Du wirst dich in der Versammlung genau so behaglich fuehlen. Wir werden alle auf dem Podium sitzen und wichtige Leute sein. (Marchbanks entsetzt:) Oh, bitte, nicht auf dem Podium; nein! Jeder wird uns anstarren,--das hielte ich nicht aus. Ich werde im Hintergrund des Saales bleiben. (Candida.) Fuerchten Sie sich nicht. Man wird viel zu sehr damit beschaeftigt sein, Jakob anzustarren als dass man Sie bemerkte. (Morell wendet den Kopf und sieht Candida vielsagend ueber die Schulter an:) Prossis Leiden, Candida,--nicht? (Candida lustig:) Jawohl. (Burgess neugierig:) Prossis Leiden? Was reden Sie da, Jakob? (Morell beachtet ihn nicht, erhebt sich, geht nach der Tuer, oeffnet und ruft in befehlendem Ton hinaus:) Fraeulein Garnett! (Proserpina aus der Entfernung:) Ja, Herr Pastor, ich komme schon. (Sie warten alle mit Ausnahme von Burgess, der verstohlen zu Mill geht und ihn beiseite zieht.) (Burgess.) Hoeren Sie, Herr Mill: worin besteht Prossis Leiden? Was fehlt ihr? (Mill vertraulich:) Ja, ich weiss es nicht genau; aber sie sprach recht seltsame Dinge heute frueh;--ich fuerchte, es ist manchmal nicht ganz richtig mit ihr. (Burgess ueberwaeltigt:) Nein,--vier in demselben Haus! Es muss ansteckend sein. (Er geht zurueck an den Kamin, ganz in Gedanken versunken ueber die Veraenderlichkeit des menschlichen Verstandes in der Umgebung eines Geistlichen.) (Proserpina erscheint auf der Schwelle:) Was wuenschen Sie, Herr Pastor? (Morell.) Telegraphieren Sie nach der Gilde von Sankt Matthaeus, dass ich kommen werde. (Proserpina ueberrascht:) Werden Sie denn nicht erwartet? (Morell gebieterisch:) Tun Sie, wie ich Ihnen gesagt habe. (Proserpina setzt sich erschrocken an die Schreibmaschine und gehorcht.) (Morell geht hinueber zu Burgess. Candida beobachtet seine Bewegungen die ganze Zeit ueber mit wachsender Verwunderung und Besorgnis.) Burgess, Sie moechten lieber nicht mitkommen? (Burgess sich entschuldigend:) Oh, so duerfen Sie das nicht auffassen--ich meine nur, wissen Sie--weil heute nicht Sonntag ist. (Morell.) Das ist schade, ich dachte, Sie wuerden gerne mit dem Vorsitzenden bekannt werden. Er ist im Provinzialarbeitsausschuss und hat einigen Einfluss bei Abschluessen von Lieferungen. (Burgess wird mit einem Male lebendig; Morell, der das erwartet hat, haelt einen Augenblick inne und sagt:) Sie wollen also doch mitkommen? (Burgess mit Enthusiasmus:) Das will ich meinen,--ob ich mitkomme, Jakob! Es ist ja stets ein Genuss, Sie predigen zu hoeren! (Morell wendet sich zu Proserpina:) Ich werde Sie noetig haben, damit Sie in der Versammlung einige Notizen machen koennen, Fraeulein Garnett, falls Sie nicht schon vergeben sind. (Sie nickt, aus Angst, sprechen zu muessen.) Sie kommen doch auch mit, Lexi? (Mill.) Selbstverstaendlich. (Candida.) Wir kommen alle mit, Jakob. (Morell.) Nein! Du kommst nicht mit, und Eugen kommt nicht mit. Du wirst zu Hause bleiben und dich mit ihm unterhalten, zur Feier deiner Rueckkehr. (Eugen erhebt sich atemlos.) (Candida.) Aber Jakob-- (Morell gebieterisch:) Ich bestehe darauf; Ihr habt beide keine Lust zu kommen, weder er, noch du! (Candida will sich dagegen verwahren.) Oh, denkt nicht an mich, ich werde auch ohne euch eine Menge Menschen um mich versammelt sehen. Eure Stuehle werden von unbekehrten Leuten besetzt sein, die mich noch nie gehoert haben. (Candida beunruhigt:) Eugen, moechten Sie nicht hingehen? (Morell.) Ich wuerde mich fuerchten, mich vor Eugen hoeren zu lassen; er ist Predigten gegenueber sehr kritisch. (Sieht ihn an.) Er weiss, dass ich mich vor ihm fuerchte, er hat mir's heute frueh selbst gesagt. Nun will ich ihm zeigen, wie sehr ich mich fuerchte, indem ich ihn hier allein in deiner Hut lasse, Candida. (Marchbanks zu sich selbst, mit lebhaftem Gefuehl:) Das ist tapfer; das ist schoen. (Er setzt sich wieder und hoert mit geoeffneten Lippen zu.) (Candida mit aengstlicher Beunruhigung:) Aber, aber--Ist irgend etwas geschehen, Jakob? (Sehr verwirrt:) Ich kann dich nicht begreifen. (Morell.) Ah, ich dachte, ich sei es, der nichts begreifen kann, meine Liebe. (Er schliesst sie zaertlich in die Arme und kuesst sie auf die Stirn, dann blickt er ruhig auf Marchbanks.) (Vorhang) DRITTER AKT (Es ist nach zehn Uhr abends; die Vorhaenge sind zugezogen und die Lampe brennt. Die Schreibmaschine steht in ihrem Kasten. Der breite Tisch ist geordnet worden; alles zeugt davon, dass das Tagewerk vollbracht ist. Candida und Marchbanks sitzen am Feuer; die Leselampe steht auf dem Kaminsims ueber Marchbanks, der in dem kleinen Stuhl sitzt und laut liest. Auf dem Teppich neben ihm liegt ein kleiner Haufen von Manuskripten und ein paar Baende Gedichte. Candida sitzt im grossen Stuhl und haelt einen leichten Schuerhaken aus Messing aufrecht in der Hand; sie sitzt zurueckgelehnt und sieht versonnen auf die funkelnde Messingspitze. Sie hat die Fuesse gegen das Feuer hin ausgestreckt und laesst ihre Fersen auf dem Kamingitter ruhen, sich ihrer Erscheinung und ihrer Umgebung tief unbewusst.) (Marchbanks seine Vorlesung unterbrechend:) Jeder Dichter, der je gelebt hat, hat aus diesem Gedanken ein Sonett gemacht. Er muss es, ob er will oder nicht. (Er sieht Candida an, ob sie ihm zustimmt, und bemerkt, dass sie auf den Schuerhaken starrt.) Haben Sie nicht zugehoert? (Keine Antwort:) Frau Morell! (Candida auffahrend.) Wie!? (Marchbanks.) Haben Sie nicht zugehoert? (Candida schuldbewusst, mit uebertriebener Hoeflichkeit:) O ja. Es ist sehr huebsch. Fahren Sie fort, Eugen. Ich bin begierig, zu hoeren, was dem Engel passiert ist. (Marchbanks laesst das Manuskript aus der Hand auf den Boden fallen:) Verzeihen Sie, dass ich Sie langweile! (Candida.) Aber Sie langweilen mich durchaus nicht, wirklich nicht. Bitte, fahren Sie fort--bitte, Eugen. (Marchbanks.) Ich habe das Gedicht ueber den Engel vor einer Viertelstunde beendet. Ich habe Ihnen seitdem schon verschiedenes vorgelesen. (Candida reuevoll:) Das tut mir wirklich leid, Eugen. Mir scheint, der Schuerhaken hat mich behext. (Sie legt ihn nieder.) (Marchbanks.) Er hat mich fuerchterlich gestoert. (Candida.) Warum haben Sie mir das nicht gesagt? Ich haette ihn sofort weggelegt. (Marchbanks.) Ich fuerchtete, Sie auch zu stoeren; er glich einer Waffe. Wenn ich ein Held aus alten Tagen waere, wuerde ich mein gezogenes Schwert zwischen uns gelegt haben. Wenn Morell gekommen waere, haette er geglaubt, dass Sie den Schuerhaken ergriffen haben, weil kein Schwert zwischen uns liegt. (Candida verwundert:) Was? (Sie sieht ihn mit verwirrten Blicken an:) Das kann ich nicht recht verstehen. Ihre Sonette haben mich so sehr verwirrt! Warum sollte ein Schwert zwischen uns sein? (Marchbanks ausweichend:) Oh, lassen wir das. (Er bueckt sich, das Manuskript aufzuheben.) (Candida.) Legen Sie das wieder hin, Eugen. Mein Hunger nach Poesie hat Grenzen, selbst nach Ihrer Poesie. Sie haben mir laenger als zwei Stunden vorgelesen--seit mein Mann fort ist--, ich moechte lieber plaudern. (Marchbanks erhebt sich, furchtsam:) Nein, ich darf nicht reden. (Er sieht in seiner verlorenen Weise um sich und fuegt ploetzlich hinzu:) Ich glaube, ich mache einen Spaziergang im Park. (Er will nach der Tuer.) (Candida.) Unsinn! er ist laengst geschlossen. Setzen Sie sich auf den Kaminteppich und plaudern wir, wie Sie es gewoehnlich tun! Ich will unterhalten werden,--wollen Sie nicht? (Marchbanks halb entsetzt, halb hingerissen:) Ja. (Candida.) Dann kommen Sie her. (Sie rueckt ihren Stuhl etwas zurueck, um Platz zu machen; er zoegert, dann kauert er sich schuechtern hin vor den Kamin, das Gesicht nach oben gekehrt, wirft seinen Kopf zurueck auf ihre Knie und sieht zu ihr empor.) (Marchbanks.) Oh, ich habe mich den ganzen Tag so ungluecklich gefuehlt, weil ich getan habe, was recht war; und nun, wo ich unrecht tue, bin ich so gluecklich. (Candida zart, belustigt ueber ihn:) Ja; ich bin ueberzeugt, nun fuehlen Sie sich wie ein grosser, erwachsener, boeser Verfuehrer--ganz stolz auf sich, nicht wahr? (Marchbanks erhebt seinen Kopf rasch und wendet sich ein wenig, um sie anzublicken:) Nehmen Sie sich in acht. Ich bin sogar um vieles aelter als Sie, Sie wissen es nur nicht. (Er wendet sich auf seinen Knien ganz herum; mit gefalteten Haenden und die Arme in ihrem Schoss, spricht er mit wachsender Erregung--sein Blut faengt an zu wallen:) Darf ich Ihnen ein paar schlimme Dinge sagen? (Candida ohne die leiseste Angst oder Kaelte und mit vollkommener Achtung vor seiner Leidenschaft, aber mit einem Schimmer ihres klugkerzigen muetterlichen Humors:) Nein. Aber Sie duerfen alles sagen, was Sie wirklich und wahrhaftig fuehlen, was es auch sei, alles! Ich fuerchte mich nicht, solange Ihr wirkliches "Selbst" zu mir spricht und nicht eine blosse Pose--eine galante oder eine gottlose, oder selbst eine dichterische Pose. Das verlange ich von Ihnen, bei Ihrer Ehre und Wahrhaftigkeit!--Nun sagen Sie, was Sie wollen. (Marchbanks der heisse Ausdruck verschwindet vollkommen von seinen Lippen und Nasenfluegeln, seine Augen flammen auf in begeistertem Feuer.) Oh, jetzt kann ich nicht mehr alles sagen; denn alle Worte, die ich weiss, gehoeren mehr oder weniger irgendeiner Pose an, alle--bis auf eines. (Candida.) Welches Wort ist das? (Marchbanks sanft, sich dem melodischen Klang des Namens hingebend:) "Candida, Candida, Candida, Candida, Candida"--das muss ich jetzt sagen, da Sie mich bei meiner Ehre und Wahrhaftigkeit fragen, denn ich denke und fuehle niemals "Frau Morell", immer nur "Candida". (Candida.) Selbstverstaendlich! Und was haben Sie Candida zu sagen? (Marchbanks.) Nichts als Ihren Namen tausendmal zu wiederholen. Fuehlen Sie nicht, dass es jedesmal ein Gebet zu Ihnen ist? (Candida.) Macht es Sie nicht gluecklich, dass Sie beten koennen? (Marchbanks.) Ja, sehr gluecklich. (Candida.) Nun, dieses Glueck ist die Antwort auf Ihr Gebet.--Wuenschen Sie sich etwas Besseres? (Marchbanks selig:) Nein, ich bin im Himmel, wo man wunschlos ist. (Morell tritt ein; er bleibt an der Schwelle stehen und ueberschaut mit einem Blick die ganze Szene.) (Morell ernst und mit Selbstbeherrschung:) Hoffentlich stoere ich nicht. (Candida faehrt heftig auf, aber ohne die leiseste Verlegenheit. Sie lacht ueber sich selbst. Eugen, noch auf den Knien, schuetzt sieh vor dem Fallen dadurch, dass er seine Haende auf den Stuhlsitz legt; Morell mit offenem Munde anstarrend, bleibt er in dieser Stellung.) (Candida im Aufstehen:) Oh, Jakob, wie du mich erschreckt hast; ich war so mit Eugen beschaeftigt, dass ich deinen Schluessel nicht gehoert habe. Wie ist die Versammlung verlaufen? Hast du gut gesprochen? (Morell.) Ich habe in meinem ganzen Leben nicht besser gesprochen. (Candida.) Das ist ausgezeichnet! Wieviel ist eingegangen? (Morell.) Ich vergass zu fragen. (Candida zu Eugen:) Er muss wundervoll gesprochen haben oder er haette das nicht vergessen. (Zu Morell:) Wo sind die andern? (Morell.) Sie verliessen den Saal lange ehe ich fortkommen konnte; ich glaube, sie essen irgendwo zur Nacht. (Candida in ihrer hausmuetterlichen Art:) Oh, dann kann Marie zu Bette gehn; ich will es ihr sagen. (Sie geht hinaus in die Kueche.) (Morell blickt strenge auf Marchbanks nieder:) Nun? (Marchbanks laesst sich mit gekreuzten Beinen auf den Kaminteppich nieder und fuehlt sich Morell gegenueber ganz sicher, sogar voll verschmitzten Humors:) Nun? (Morell.) Haben Sie mir etwas zu sagen? (Marchbanks.) Nur, dass ich mich hier heimlich zum Narren gemacht habe, waehrend Sie oeffentlich dasselbe getan haben. (Morell.) Ich glaube, kaum auf dieselbe Art. (Marchbanks springt auf, eifrig:) Ganz genau auf dieselbe Art. Ich habe eben ganz so wie Sie den braven Mann gespielt! ganz so wie Sie. Als Sie Ihr Heldentum, mich hier mit Candida allein zu lassen, begannen-- (Morell unwillkuerlich:) Candida? (Marchbanks.) Ja, so weit bin ich schon. Heldentum ist ansteckend, ich bekam die Krankheit von Ihnen und habe mir geschworen, Candida in Ihrer Abwesenheit nichts zu sagen, was ich nicht schon vor einem Monat in Ihrer Gegenwart gesagt haette. (Morell.) Und haben Sie dieses Geluebde gehalten? (Marchbanks setzt sich ploetzlich in grotesker Weise in den Lehnstuhl:) Ich bin bis vor etwa zehn Minuten dumm genug gewesen, es zu halten. Bis dahin habe ich ihr verzweifelt vorgelesen, meine eigenen Gedichte--und andere--um einer Unterhaltung auszuweichen. Ich sah das Himmelstor offen und weigerte mich, einzutreten.... Sie koennen sich nicht vorstellen, wie heldenhaft das war und wie ungemuetlich.... Dann-- (Morell seine Ungeduld bezaehmend:) Dann? (Marchbanks geht prosaisch in eine ganz gewoehnliche Stellung im Lehnstuhl ueber:) Dann konnte sie das Vorlesen nicht mehr vertragen. (Morell.) Und da haben Sie sich dem Himmelstor schliesslich genaehert? (Marchbanks.) Ja. (Morell.) Und dann? (Wild:) Sprechen Sie, Mensch! Haben Sie denn kein Gefuehl fuer mich! (Marchbanks sanft und melodisch:) Dann wurde sie ein Engel, und ein Flammenschwert erschien, das mir jeden Zugang versperrte, so dass ich nicht eintreten konnte und nun begriff, dass dieses Tor in Wahrheit das Tor der Hoelle war. (Morell triumphierend:) Sie hat Sie zurueckgestossen! (Marchbanks erhebt sich mit grimmigem Hohn:) Nein, Sie Narr! Wenn sie das getan haette, wuerde ich gar nicht gefuehlt haben, dass ich schon im Himmel war. Mich zurueckgestossen... glauben Sie, dass mich das gerettet haette?--Tugendhafte Entruestung! Oh, Sie sind nicht wert, in einer Welt mit ihr zu leben. (Er wendet sich verachtungsvoll von ihm ab nach der anderen Seite des Zimmers.) (Morell der ihn ruhig beobachtet hat, ohne seinen Platz zu wechseln:) Glauben Sie, dass Sie dadurch an Wert gewinnen, wenn Sie mich beschimpfen, Eugen? (Marchbanks.) Hier endet der tausendunderste Text. Morell: ich halte doch nicht viel von Ihrem Predigen. Ich glaube sogar, ich selbst koennte das besser. Der Mann, den ich jetzt vor mir haben moechte, ist der Mann, den Candida geheiratet hat. (Morell.) Der Mann, den... meinen Sie mich? (Marchbanks.) Ich meine nicht Hochwuerden Jakob Mavor Morell, Moralist und Schwaetzer. Ich meine den wirklichen Menschen, den Hochwuerden Jakob irgendwo in seiner schwarzen Kutte versteckt haben muss, den Mann, den Candida geliebt hat. Sie koennen die Liebe einer Frau wie Candida nicht dadurch erreicht haben, dass Sie bloss Ihren Kragen hinten statt vorne knoepfen. (Morell kuehn und standhaft:) Als Candida einwilligte, mich zu heiraten, da war ich derselbe Moralist und Schwaetzer, den Sie jetzt vor sich sehen. Ich trug meinen schwarzen Rock, und meinen Kragen knoepfte ich hinten statt vorne. Glauben Sie, dass sie mich mehr geliebt haette, wenn ich unaufrichtig in meinem Beruf gewesen waere? (Marchbanks auf dem Sofa, seine Knoechel umfassend:) Oh, sie hat Ihnen vergeben, so wie sie mir vergibt, dass ich ein Feigling bin und ein Schwaechling, und was Sie einen kleinen winselnden Hund--und so weiter--nennen. (Vertraeumt:) Eine Frau wie diese hat goettlichen Einblick: sie liebt unsere Seele und nicht unsere Narrheiten und Eitelkeiten und Illusionen, oder unsere Kragen und Roecke, oder die andern Fetzen und Lappen, in die wir gehuellt sind. (Er denkt darueber einen Augenblick nach, dann wendet er sich mit gespannter Erwartung um, Morell zu befragen:) Was ich wissen moechte, ist, wie Sie an dem Flammenschwerte, das mich zurueckgeschreckt hat, vorbeigekommen sind! (Morell bedeutungsvoll:) Vielleicht weil ich nicht nach zehn Minuten unterbrochen wurde. (Marchbanks verbluefft:) Was? (Morell.) Der Mensch kann auf die hoechsten Gipfel steigen; aber er kann nicht lange dort verweilen. (Marchbanks.) Das ist falsch. Dort kann er ewig verweilen! nur dort! Anderswo findet er keine Ruhe und hat keinen Sinn fuer die stille Schoenheit des Lebens. Wo sollte ich meine seligsten Minuten verleben, wenn nicht auf den Hoehen? (Morell.) In der Kueche, Zwiebeln schneidend und Lampen fuellend. (Marchbanks.) Oder auf der Kanzel, Seelen scheuernd die aus billigem Ton sind. (Morell.) Ja, das auch! Dort habe ich meinen goldenen Augenblick geerntet und mit ihm das Recht, um Candidas Liebe zu werben. Ich habe mir diese Stunde nicht erborgt, noch habe ich sie benuetzt, um das Glueck eines andern zu stehlen. (Marchbanks schreitet ziemlich angewidert dem Kamin zu:) Ich zweifle nicht daran, dass Sie Ihre Verrichtungen so ehrenhaft erfuellt haben, als ob Sie ein Pfund Kaese abgewogen haetten. (Er haelt vor dem Kamin inne und fuegt nachdenklich zu sich selbst, Morell den Ruecken kehrend, hinzu:) Ich konnte zu ihr nur als Bettler kommen. (Morell auffabrend:) Als ein frierender Bettler, der sie um ihren Schal bat, nicht wahr? (Marchbanks wendet sich ueberrascht um:) Ich danke Ihnen, dass Sie sich auf mein Gedicht beziehen. Ja, wenn Sie wollen: als ein frierender Bettler, der sie um ihren Schal bat. (Morell erregt:) Und sie verweigerte ihn. Soll ich Ihnen sagen, warum sie ihn verweigert hat? Ich kann es Ihnen sagen, mit ihrer eigenen Erlaubnis: weil... (Marchbanks.) Sie hat ihn nicht verweigert! (Morell.) Nicht? (Marchbanks.) Sie bot mir alles, worum ich bat: ihren Schal, ihre Fluegel, den Sternenkranz aus ihrem Haar, die Lilien in ihrer Hand, den aufgehenden Mond zu ihren Fuessen. (Morell ihn anpackend:) Heraus mit der Wahrheit, Mensch! Meine Frau ist meine Frau: ich habe genug von Ihrem poetischen Flitterkram,--ich weiss ganz gut, dass kein Gesetz Candida an mich binden wuerde, wenn ich ihre Liebe an Sie verloren haette! (Marchbanks bizarr, ohne Furcht oder Widerstand:) Packen Sie mich nur beim Kragen: sie wird ihn dann wieder in Ordnung bringen wie heute morgen. (Mit stiller Begeisterung:) Ich werde wieder die Beruehrung ihrer Haende fuehlen. (Morell:) Sie junger Fant, fuehlen Sie nicht, wie gefaehrlich es ist, mir das zu sagen! Oder (mit ploetzilicher Befuerchtung:) hat Sie irgend etwas kuehn gemacht? (Marchbanks.) Ich fuerchte mich jetzt nicht mehr! Ich habe Sie bisher nie leiden moegen, deshalb bin ich bei Ihren Beruehrung zusammengezuckt. Aber heute erkannte ich--als Candida Sie quaelites--dass Sie sie lieben. Seitdem bin ich Ihr Freund! Jetzt koennen sie mich erwuergen, wenn Sie wollen! (Morell ihn loslassend:) Eugen, wenn das keine herzlose Luege ist--wenn Sie noch einen Funken menschlichen Fuehlens haben--so werden Sie mir sagen, was im meiner Abwesenheit vergefallen ist! (Marchbanks:) Was vorgefallen ist? Nun, das Flamenmenschwere... (Morell stampft ungeduldig mit dem Fusse;),--also im ganz einfacher Prosa: ich liebte sie so unendlich, dass ich nichts weiter wuenschte als das Glueck, so lieben zu fuer ich und bevor ich--Zote fang vom hoechsten Grafen der Gefuer herunterzutaumente--traten Sie ein. (Morell (scowen leidend:)) Leidenschaftlichem immer nicht erduldig-- immer bleibt ihr noch die ehblines Zweifzig. (Marchbanks.) Quall und wuensche jetzt nichts mehr als Candidas Glueck. (Mit leidenschaftlichem Gefuehl:) Oh, Morell, geben wir sie beide auf! Warum soll sie waehlen muessen zwischen einem elenden, nervoesen kleinen Kranken, wie ich es bin, und einem starrkoepfigen Pfarrer wie Sie? Gehen wir auf Pilgerschaft, Sie nach Osten und ich nach Westen, auf der Suche nach einem wuerdigeren Liebhaber, einem schoenen Erzengel mit purpurnen Fluegeln. (Morell.) Papperlapapp, dummes Zeug! Oh, wenn sie verrueckt genug waere, mich Ihretwegen zu verlassen, wer sollte sie beschuetzen, wer sollte ihr helfen, wer sollte fuer sie arbeiten, wer ihren Kindern ein Vater sein! (Er setzt sich verstoert auf das Sofa, seine Ellbogen auf die Knie gestuetzt und den Kopf zwischen den geballten Faeusten.) (Marchbanks schnappt wild mit den Fingern:) Sie stellt nicht solche toerichte Fragen: sie braucht jemanden, den sie schuetzen und behueten, fuer den sie arbeiten kann, jemanden, der ihr Kinder anvertraut, um sie zu beschuetzen, ihnen zu helfen und fuer sie zu arbeiten, einen erwachsenen Menschen, der wieder wie ein kleines Kind geworden ist. Oh, Sie Narr, Sie Narr, Sie dreifacher Narr! Ich bin der Mann, Morell, ich bin der Mann! (Er tanzt aufgeregt herum und schreit:) Sie verstehen nicht, was eine Frau ist,--schicken Sie nach ihr, Morell, schicken Sie nach ihr und lassen Sie sie waehlen zwischen--(Die Tuer oeffnet sich und Candida tritt ein; er haelt wie versteinert inne.) (Candida erstaunt an der Schwelle:) Was um alles in der Welt machen Sie da, Eugen? (Marchbanks drollig:) Ihr Mann und ich haben ein Wettpredigen veranstaltet, und er verliert dabei. (Candida sieht rasch nach Morell, und als sie bemerkt, dass er traurig ist, eilt sie hin zu ihm und spricht sehr aergerlich mit heftigem Vorwurf zu Marchbanks.) (Candida.) Sie haben ihn geaergert. Nein, das dulde ich nicht, Eugen, hoeren Sie! (Sie legt ihre Hand auf Morells Schulter und vergisst in ihrem Aerger ganz ihren weiblichen Takt:) Mein Liebling soll nicht geaergert werden, ich werde ihn beschuetzen. (Morell sich stolz erhebend:) Beschuetzen? (Candida nicht auf ihn achtend, zu Eugen:) Was haben Sie ihm gesagt? (Marchbanks erschreckt:) Nichts. Ich-- (Candida.) Eugen, nichts? (Marchbanks jaemmerlich:) Ich meine--ich--es tut mir sehr leid, ich werde es nicht wieder tun, gewiss nicht, ich werde ihn in Ruhe lassen. (Morell empoert mit einer angreifenden Bewegung gegen Eugen:) Mich in Ruhe lassen! Sie junger-- (Candida ihm ins Wort fallend:) Sch, nicht doch! lass mich mit ihm reden, Jakob. (Marchbanks.) Oh, Sie sind mir doch nicht boese? (Candida strenge:) O ja, ich bin--sehr boese. Ich haette nicht uebel Lust, Sie aus dem Hause zu jagen. (Morell von Candidas Heftigkeit ueberrascht und durchaus nicht willens, sich vor einem andern Mann durch sie retten zu lassen:) Sachte, Candida, sachte. Ich kann mich schon selbst beschuetzen. (Candida ihn streichelnd:) Ja, Lieber, natuerlich kannst du das. Aber man darf dich nicht aergern und quaelen. (Marchbanks beinahe in Traenen, sich nach der Tuere wendend:) Ich will gehen. (Candida.) Oh, Sie brauchen nicht zu gehen, so spaet kann ich Sie nicht fortschicken. (Heftig:) Aber schaemen Sie sich, schaemen Sie sich! (Marchbanks verzweifelt:) Was habe ich denn getan? (Candida.) Ich weiss, was Sie getan haben, so genau, als ob ich die ganze Zeit hier gewesen waere.--Oh, es war unwuerdig. Sie sind wie ein kleines Kind, Sie koennen Ihren Mund nicht halten. (Marchbanks.) Ich wuerde lieber zehnfachen Tod erleiden, als Ihnen einen Augenblick Kummer bereiten. (Candida mit groesster Geringschaetzung gegen diese Kinderei:) Ihr Tod wuerde mir viel nuetzen! (Morell.) Liebste Candida, dieser Wortwechsel ist kaum am Platz. Es handelt sich um eine Angelegenheit zwischen zwei Maennern, und ich bin dazu da, sie beizulegen. (Candida.) Zwei Maenner? Nennst du das einen Mann? (Zu Eugen:) Sie schlimmer junge, Sie! (Marchbanks wird wunderlich liebevoll und mutig, da er ausgezankt wird:) Wenn ich mich auszanken lassen soll wie ein kleiner Junge, muss ich mich auch wie ein kleiner Junge verteidigen duerfen. Er hat angefangen und er ist groesser als ich. (Candida verliert ein wenig ihre Sicherheit, da sie Morells Wuerde bedroht sieht:) Das kann nicht wahr sein. (Zu Morell:) Du hast doch nicht angefangen, Jakob, nicht wahr, nein? (Morell verachtungsvoll:) Nein. (Marchbanks entruestet:) Oh! (Morell zu Eugen:) Sie haben angefangen,--heute frueh. (Candida bringt dies sofort in Zusammenhang mit der geheimnisvollen Bemerkung, die Jakob nachmittag machte, als er ihr sagte, dass ihm Eugen am Morgen etwas mitgeteilt habe. Sie sieht ihn mit raschem Verdachte forschend an. Morell faehrt fort mit dem Pathos der beleidigten Ueberlegenheit:) Aber Ihre andere Bemerkung ist richtig. Ich bin gewiss der Groessere von uns beiden und, wie ich hoffe, Candida, auch der Staerkere! Es waere daher besser, du ueberliessest die Sache mir. (Candida ihn wieder besaenftigend:) Ja, Lieber--aber (verwirrt:) ich verstehe das nicht wegen heute morgen. (Morell ein wenig auffahrend:) Das brauchst du auch nicht zu verstehen, meine Liebe. (Candida.) Aber, Jakob, ich--(Die Hausglocke laeutet:) Oh, wie dumm. Da kommen sie alle! (Sie geht hinaus, sie einzulassen.) (Marchbanks laeuft zu Morell:) Oh, Morell, ist das nicht schrecklich? Sie ist boese auf uns, sie hasst mich,--was soll ich tun? (Morell in seltsamer Verzweiflung, sich in die Haare fahrend:) Eugen, es dreht sich mir alles im Kopf, ich werde gleich zu lachen anfangen. (Er geht in der Mitte des Zimmers auf und ab.) (Marchbanks folgt ihm aengstlich:) Nein, nein! Dann wird sie glauben, ich haette Sie hysterisch gemacht. Lachen Sie nicht! (Man hoert heftiges Stimmengewirr und Gelaechter, das immer naeher kommt. Alexander Mill, dessen glaenzende Augen und dessen ganzes Benehmen eine ungewohnte angeregte Stimmung verraten, tritt mit Burgess ein, der einen schmierigen und selbstgefaelligen Eindruck macht, aber vollstaendig Herr seiner Sinne ist. Fraeulein Garnett folgt ihm mit ihrem schoensten Hut und ihrer besten Jacke, aber obwohl ihre Augen glaenzender sind als frueher, ist sie sichtlich in besorgter Stimmung. Sie stellt sich mit dem Ruecken gegen ihren Schreibmaschinentisch, mit einer Hand sich darauf stuetzend, mit der anderen sich ueber die Stirne fahrend, als ob sie etwas muede und schwindlig waere. Marchbanks verfaellt wieder in Schuechternheit und schleicht weg in die Naehe des Fensters, wo Morells Buecher sind.) (Mill begeistert:) Herr Pastor, ich *muss* Ihnen gratulieren, (seine Hand fassend:)--was fuer eine edle, herrliche, von Gott eingehauchte Ansprache Sie gehalten haben! Sie haben sich selbst uebertroffen. (Burgess.) Ja, das haben Sie, Jakob. Ich bin bis zum letzten Worte wach geblieben,--nicht wahr, Fraeulein Garnett? (Proserpina ungeduldig:) Oh, ich habe Sie nicht beachtet, ich habe mich bemueht, Notizen zu machen. (Sie nimmt ihre Notizen heraus, blickt auf ihr Stenogramm und faengt beinahe zu weinen an.) (Morell.) Habe ich zu schnell gesprochen, Prossi? (Proserpina.) Viel zu schnell.--Sie wissen, ich kann nicht mehr als neunzig Worte in der Minute schreiben. (Sie macht ihren Gefuehlen Luft, indem sie ihr Notizbuch aergerlich neben die Maschine wirft, wo sie es am naechsten Morgen bereit haben will.) (Morell besaenftigend:) Nun, nun, das macht ja nichts. Habt ihr alle schon zur Nacht gegessen? (Mill.) Herr Burgess war so liebenswuerdig, uns in's Belgrave Restaurant zu einem geradezu glaenzenden Abendessen einzuladen. (Burgess mit ueberschwenglicher Grossmut:) O bitte, bitte, Herr Mill. (Bescheiden:) Sie waren mir bei meinem bescheidenen Feste herzlich willkommen. (Proserpina.) Wir haben Champagner getrunken! Ich hatte noch niemals welchen gekostet. Ich bin ganz schwindlig. (Morell ueberrascht:) Ein Champagnersouper! Das war sehr huebsch von Ihnen. Ist meine Beredsamkeit schuld an dieser Verschwendung? (Mill mit Pathos:) Ihre Beredsamkeit und Herrn Burgess' Herzensguete. (Mit erneutem Gefuehlsausbruch:) Was fuer ein herrlicher Mensch der Vorsitzende war, Herr Morell; er hat auch mit uns gespeist. (Morell bedeutungsvoll Burgess anblickend:) So, so, der Vorsitzende! --*jetzt* verstehe ich! (Burgess verbirgt hinter einem Huesteln ein Laecheln der Zufriedenheit ueber seine diplomatische Geschicklichkeit und setzt sich an den Kamin. Mill verschraenkt die Arme und lehnt sich neben das Buechergestell in einer Stellung, die seine Begeisterung zum Ausdruck bringt. Candida kommt mit Glaesern, Zitronen und heissem Wasser auf einem Tablett herein.) (Candida.) Wer wuenscht etwas Limonade? Sie kennen unsere Hausregel: vollkommene Abstinenz! (Sie stellt das Tablett auf den Tisch, nimmt den Zitronenpresser zur Hand und blickt fragend umher.) (Morell.) Du bemuehst dich umsonst, meine Liebe, sie haben alle Champagner getrunken, Prossi hat ihr Geluebde gebrochen. (Candida zu Proserpina:) Sie wollen doch nicht behaupten, dass Sie auch Champagner getrunken haben? (Proserpina verstockt:) Ja, das hab' ich; ich bin nur eine Bier-, keine Champagnerabstinenzlerin. Ich mag kein Bier.--Sind Briefe fuer mich zur Beantwortung da, Herr Pastor? (Morell.) Nichts mehr fuer heute. (Proserpina.) Dann gute Nacht allerseits. (Mill galant:) Waere es nicht geraten, dass ich Sie nach Hause begleite, Fraeulein Garnett? (Proserpina.) Nein, ich danke. Ich wuerde mich heute nacht niemandem anvertrauen wollen! Haette ich nur nichts von diesem Zeug getrunken! Sie geht rasch hinaus. (Burgess empoert:) Zeug! Dieses Maedel weiss nicht, was Champagner ist. Pommery und Greno, zwoelf Schilling sechs Pence die Flasche. Zwei Glaeser nacheinander hat sie geleert. (Morell etwas besorgt:) Gehen Sie, Lexi, und sehen Sie nach ihr! (Mill beunruhigt:) Aber wenn sie wirklich... bedenken Sie, wenn sie in den Strassen zu singen anfaengt oder dergleichen! (Morell.) Eben darum waere es besser, Sie braechten sie sicher nach Hause. (Candida.) Tun Sie es, Lexi, als guter Kamerad! (Sie reicht ihm die Hand und schiebt ihn sanft nach der Tuer.) (Mill.) Es ist selbstverstaendlich meine Pflicht, mit ihr zu gehen. Ich hoffe aber, es wird nicht noetig gewesen sein. Gute Nacht, Frau Morell. (Zu den uebrigen:) Gute Nacht. (Er geht, Candida schliesst die Tuer hinter ihm.) (Burgess.) Er war selbst ganz aus dem Haeuschen in lauter Froemmigkeit nach dem zweiten Glas. Heutzutage koennen die Leute nicht mehr trinken wie frueher. (Den Gegenstand fallen lassend, geht er vom Kamin fort.) Nun, Jakob, es ist Zeit, das Haus zu schliessen. Herr Marchbanks, werden Sie mir auf dem Heimwege ein Stueckchen das Vergnuegen Ihrer Gesellschaft schenken? (Marchbanks erschrocken:) Ja, es ist besser, ich gehe. (Er eilt nach der Tuer, aber Candida stellt sich ihm in den Weg.) (Candida mit ruhiger Wuerde:) Sie setzen sich noch, Sie werden noch nicht gehen! (Marchbanks eingeschuechtert:) Nein,--ich--ich wollte ja auch nicht. (Er kommt zurueck in das Zimmer und setzt sich gehorsam auf das Sofa.) (Candida.) Herr Marchbanks bleibt heute nacht bei uns, Papa. (Burgess.) Na, dann sage ich gute Nacht. Auf Wiedersehn, Jakob. (Er schuettelt Morell die Hand und geht hinueber zu Eugen.) Lassen Sie sich ein Nachtlicht an Ihr Bett stellen, Herr Marchbanks, es wird Sie beruhigen, falls Sie in der Nacht einen Anfall Ihres Leidens bekommen sollten! Gute Nacht. (Marchbanks.) Ich danke Ihnen, es soll geschehn. Gute Nacht, Herr Burgess. (Sie geben einander die Haende, Burgess geht zur Tuer.) (Candida haelt Morell zurueck, der Burgess begleiten will:) Bleib' hier, mein Lieber, ich werde Papa seinen Rock anziehen helfen. (Sie geht mit Burgess hinaus.) (Marchbanks.) Herr Pastor, es wird eine schreckliche Szene geben. Haben Sie keine Angst? (Morell.) Nicht die geringste. (Marchbanks.) Ich habe Sie bisher nie um Ihren Mut beneidet. (Er erhebt sich schuechtern und beruehrt mit seiner Hand flehend Morells Unterarm:) Stehen Sie mir bei,--wollen Sie? (Morell schuettelt ihn sanft, aber entschieden ab:) Jeder fuer sich, Eugen! Sie--muss nun zwischen uns waehlen. (Er gebt beim Eintritt Candidas auf die andere Seite des Zimmers, Eugen setzt sich mit seinem besten Benehmen wie ein schuldbewusster Schulknabe auf das Sofa.) (Candida zwischen den beiden, sich zu Eugen wendend:) Tut es Ihnen leid? (Marchbanks ernst:) Ja, unendlich. (Candida.) Gut, dann ist Ihnen verziehen. Nun gehen Sie wie ein braver kleiner Junge zu Bett, ich moechte mit Jakob ueber Sie sprechen. (Marchbanks erhebt sich mit groesster Bestuerzung:) Oh, das kann ich nicht.--Herr Pastor, ich muss hierbleiben. Ich will nicht fortgehen. Sagen Sie es ihr! (Candida die ihren Verdacht bestaetigt sieht:) Was soll er mir sagen? (Seine Augen vermeiden die ihrigen, sie wendet sich um und uebertraegt ihre Frage stumm auf Morell.) (Morell wappnet sich fuer die Katastrophe:) Ich habe ihr nichts zu sagen, ausgenommen--(dabei sinkt seine Stimme zu massvoller, trauriger Zaertlichkeit herab:) dass sie mein groesster Schatz auf Erden ist--wenn sie mir wirklich gehoert. (Candida kalt, verletzt, dass er seinem Rednerinstinkt nachgibt und sie behandelt, als ob sie sich unter den Zuhoerern der Gilde von St. Matthaeus befaende:) Ich bin ueberzeugt, dass Eugen nicht weniger sagen kann, wenn das alles ist. (Marchbanks entmutigt:) Morell, sie lacht uns aus. (Morell auffahrend:) Es gibt da nichts zu lachen. Lachst du uns aus, Candida? (Candida mit stillem Aerger:) Eugen ist sehr witzig, ich hoffe, dass ich lachen werde--aber vorlaeufig fuerchte ich, mich aergern zu muessen. (Sie geht an den Kamin und bleibt dort stehen, ihren Arm auf dem Gesims und ihren Fuss auf dem Gitter, waehrend Eugen sich zu Morell hinstiehlt und ihn beim Arm fasst.) (Marchbanks fluesternd:) Halten Sie ein, Herr Pastor; sagen wir nichts mehr. (Morell stoesst Eugen fort, ohne ihn eines Blickes zu wuerdigen:) Ich hoffe, dass du mir nicht drohen willst, Candida. (Candida mit feierlicher Warnung:) Nimm dich in acht, Jakob!--Eugen, ich habe gewuenscht, dass Sie gehen sollen,--gehen Sie oder nicht? (Morell mit dem Fusse stampfend:) Er wird nicht gehen; ich wuensche, dass er bleibt. (Marchbanks.) Ich will gehen. Ich tue, was Sie wollen. (Er wendet sich zur Tuer.) (Candida.) Bleiben Sie. (Er gehorcht.) Haben Sie nicht gehoert, dass Jakob wuenscht, dass Sie bleiben sollen? Jakob ist hier der Herr, wissen Sie das nicht? (Marchbanks erroetend, mit der Wut eines jungen Dichters gegen Tyrannei:) Was gibt ihm das Recht dazu? (Candida ruhig:) Sag es ihm, Jakob. (Morell bestuerzt:) Meine Liebe, ich bin mir keines Rechtes bewusst, das mich zum Herrn macht; ich bestehe auf keinem solchen Rechte. (Candida mit schwerem Vorwurf:) Du weisst es nicht? O Jakob, Jakob! (Zu Eugen nachdenklich:) Ich wuesste gern, ob Sie das verstehen, Eugen... Nein, Sie sind zu jung. Nun, ich erlaube Ihnen, zu bleiben und zu lernen. (Sie geht von Kamin fort und stellt sich zwischen die beiden.) Also, Jakob, was ist's? Komm und sag' es mir. (Marchbanks fluestert ihm aengstlich zu:) Sagen Sie ihr lieber nichts. (Candida.) Bitte!--Heraus damit! (Morell langsam:) Ich wollte dich sorgfaeltig vorbereiten, Candida, um jedes Missverstaendnis zu vermeiden. (Candida.) Ja, Lieber, das wolltest du gewiss; aber sei unbesorgt, ich werde nichts missverstehen. (Morell.) Nun denn, es--(Er zoegert, unfaehig, die lange Erklaerung zu finden, die er fuer noetig haelt.) (Candida.) Nun? (Morell klipp und klar:) Eugen behauptet, dass du ihn liebst. (Marchbanks ausser sich:) Nein, nein, nein, nein, niemals, das habe ich nicht behauptet, Frau Morell, es ist nicht wahr! Ich sagte, dass ich Sie liebe und er nicht. Ich sagte, dass ich Sie verstehe und dass er es nicht kann. Und nicht infolgedessen, was sich hier am Kamin zugetragen hat, habe ich das gesagt,--ganz gewiss nicht, auf mein Wort! schon heute morgen hab' ich es ihm gesagt! (Candida erleuchtet:) Heute morgen?! (Marchbanks.) Ja! (Er siebt sie um Glauben bittend an und fuegt dann einfach hinzu:) Das war auch der Grund, warum mein Kragen in Unordnung geriet. (Candida nach einer Pause, weil sie nicht gleich begreift, was er meint:) Ihr Kragen! (Sie wendet sich erschrocken zu Morell, verletzt:) O Jakob, hast du ihn--? (Sie haelt inne.) (Morell beschaemt:) Du weisst, Candida, dass ich mit meinem Temperament zu kaempfen habe, und er sagte, (schauernd:) dass du mich verachtest in deinem Herzen. (Candida wendet sich rasch zu Eugen:) Haben Sie das gesagt? (Marchbanks geaengstigt:) Nein! (Candida strenge:) Dann hat mich also Jakob eben angelogen. Wollen Sie das behaupten? (Marchbanks.) Nein, nein: ich--ich... (herausplatzend mit der verzweifelten Erklaerung:)--es war die Rede von Davids Frau, nicht bei ihm zu Hause, sondern als sie ihn tanzen sah vor allen Leuten. (Morell nimmt diesen Fingerzeig mit der Geschicklichkeit eines Wortkaempfers auf:) Ja, als er vor dem ganzen Volke tanzte, Candida, in der Meinung, dass er ihre Herzen dadurch ruehrte, waehrend sie nur an Prossis Leiden litten. (Sie ist im Begriff zu protestieren, er winkt ihr mit der Hand, um sie zum Schweigen zu bringen, und faehrt fort:) Tue nicht als ob du entruestet waerest, Candida. (Candida.) Tun als ob?! (Morell fortfahrend:) Eugen hatte recht! Wie du mir einige Stunden spaeter klarmachtest, hat er immer recht. Er sagte nichts, was du nicht viel besser selbst gesagt haettest. Er ist der Dichter, der alles sieht; und ich bin der arme Pastor, der nichts versteht. (Candida reuevoll:) Aergert dich, was ein naerrischer junge gesagt hat, weil ich im Scherz etwas Aehnliches sagte? (Morell.) Der naerrische Junge kann mit der Begeisterung eines Kindes und mit der Verschlagenheit einer Schlange sprechen. Er hat behauptet, dass du ihm gehoerst und nicht mir, und, ob mit Recht oder Unrecht, ich beginne zu fuerchten, dass es wahr sein koennte. Ich will nicht umhergehen von Zweifeln und Verdaechtigungen gequaelt. Ich will nicht mit dir leben und ein Geheimnis vor dir haben. Ich will nicht die entwuerdigende Qual der Eifersucht erdulden. Deshalb haben wir beschlossen--er und ich--dass du jetzt zwischen uns waehlen sollst! Ich erwarte deine Entscheidung. (Candida weicht langsam einen Schritt zurueck, verletzt ueber sein Pathos, trotz des aufrichtigen Gefuehls, das sie heraushoert:) Oh, ich muss also waehlen? Ich nehme an, dass eines vollkommen feststeht: dass ich einem o d e r dem andern gehoeren muss. (Morell entschlossen:) Vollkommen; du musst endgueltig waehlen. (Marchbanks aengstlich:) Herr Pastor,--Sie verstehen nicht: sie meint, dass sie sich selbst gehoert. (Candida sich zu ihm wendend:) ja, das meine ich, Junker Eugen, und noch sehr viel mehr, wie Ihr beide sofort herausfinden werdet. Und ich frage, meine Herren und Gebieter, was habt Ihr fuer meine Wahl zu geben? Es scheint, dass ich versteigert werden soll. Wieviel bietest du, Jakob? (Modell vorwurfsvoll:) Cand.... (Er bricht zusammen, seine Augen fuellen sich mit Traenen, und seine Kehle schnuert sich zu, der Redner wird zu einem verwundeten Tier.) Ich kann nicht sprechen. (Candida geht impulsiv zu ihm hin:) O Liebster! (Marchbanks in wildem Aufruhr:) Halten Sie ein, das ist nicht gerecht. Sie duerfen ihr nicht zeigen, dass Sie leiden, Morell.--Ich bin auch auf der Folter, aber ich weine nicht. (Morell nimmt seine ganze Kraft zusammen:) Ja, Sie haben recht. Es ist nicht Mitleid, worum ich bitte. (Er befreit sich von Candida.) (Candida zieht sich frostig zurueck:) Entschuldige, Jakob, ich hatte nicht die Absicht, dich zu beruehren. Ich warte auf dein Angebot. (Morell mit stolzer Demut:) Ich habe dir nichts zu bieten als meine Kraft zu deinem Schutze, mein ehrliches Wollen fuer deine Ruhe, meine Tuechtigkeit und Arbeit fuer deinen Unterhalt und mein Ansehen und meine Stellung fuer deine Wuerde. Das ist alles, was einem Manne ansteht, einer Frau zu bieten. (Candida ganz ruhig:) Und Sie, Eugen, was bieten Sie? (Marchbanks.) Meine Schwaeche! meine Trostlosigkeit! meine Herzensnot! (Candida geruehrt:) Das ist ein gutes Angebot, Eugen; nun weiss ich, wie ich meine Wahl zu treffen habe. (Sie haelt inne und blickt seltsam von einem zum andern, als ob sie beide abschaetzte. Morell, dessen hochtmuetiges Zutrauen sich in herzzerreissende Angst bei Eugens Gebot verwandelt hat, verliert alle Beherrschung, und kann seine Angst nicht verbergen. Eugen dagegen, mit aeusserst angespannter Kraft, zuckt mit keiner Wimper.) (Morell mit halb erstickter Stimme--ein Hilferuf entringt sich den Tiefen seiner Verzweiflung:) Candida! (Marchbanks beiseite mit einem Aufwallen der Verachtung:) Feigling! (Candida bedeutsam:) Ich gebe mich dem Schwaecheren von beiden. (Eugen erraet ihre Meinung sofort; sein Gesicht wird weiss wie scbmelzender Stahl.) (Morell neigt seinen Kopf mit der Ruhe der Gebrochenheit:) Ich nehme deine Entscheidung an, Candida. (Candida.) Verstehen Sie, Eugen? (Marchbanks.) Oh, ich fuehle, ich bin verloren. Er koennte die Last nicht ertragen! (Morell unglaeubig, hebt seinen Kopf empor, mit prosaischer Stumpfheit:) Meinst du mich, Candida? (Candida laechelt ein wenig:) Setzen wir uns und plaudern wir gemuetlich darueber wie drei Freunde. (Zu Morell:) Setze dich, mein Lieber. (Morell nimmt den Stuhl vom Kamin--den Kindersessel.) Bringen Sie mir diesen Stuhl, Eugen. (Sie weist auf den Lehnstuhl, er holt ihn schweigend, sogar mit etwas wie kuehler Beherrschung und setzt ihn neben Morell, etwas hinter ihn. Sie setzt sich, er geht an das Sofa und laesst sich dort nieder, noch immer schweigsam und unergruendlich. Als sie alle sitzen, beginnt Candida,--einen Hauch von Ruhe um sich breitend, mit ihrer sanften, gesunden, zaertlichen Stimme:) Sie erinnern sich doch, was Sie mir ueber sich selbst erzaehlten, Eugen: wie sich niemand um Sie gekuemmert hat, seit Ihre alte Amme starb. Wie Ihre gescheiten, vornehmen Schwestern und erfolgreichen Brueder die Lieblinge Ihrer Eltern waren, wie elend es Ihnen in Eton erging, wie Ihr Vater Sie durch Entbehrungen zwingen will, nach Oxford zurueckzukehren, wie Sie leben mussten ohne Behaglichkeit oder Willkommen, ohne Zufluchtsstaette, immer einsam und fast immer ungern gesehen und missverstanden! Sie armer Junge! (Marchbanks der Groesse seines Schicksals wuerdig:) Ich hatte meine Buecher. Ich hatte die Natur. Und endlich bin ich Ihnen begegnet. (Candida.) Lassen wir das im Augenblick beiseite. Nun moechte ich, dass Sie sich diesen andern Jungen hier betrachten,--meinen verwoehnten Jungen,--verwoehnt von seiner Wiege an. Einmal alle vierzehn Tage besuchen wir seine Eltern. Da sollten Sie mit uns kommen, Eugen, und die Bilder des Helden dieser Familie sehen. Jakob als Baby, das wundervollste aller Babys! Jakob, als er seinen ersten Schulpreis erhielt, gewonnen im reifen Alter von acht Jahren! Jakob als der Fuehrer seiner Mitschueler beim Cricketspiel! Jakob in seinem ersten schwarzen Anzug! Jakob in allen moeglichen ruhmvollen Posen. Sie wissen, wie stark er ist--ich hoffe, er hat Ihnen nicht weh getan--wie gescheit er ist--wie gluecklich! (Mit wachsendem Ernst:) Fragen Sie Jakobs Mutter und seine drei Schwestern, was es sie gekostet hat, Jakob die Muehe zu ersparen, irgend etwas zu tun, als stark, gescheit und gluecklich zu sein. Fragen Sie mich, was es mich kostet, Jakobs Mutter und seine drei Schwestern und seine Frau und Mutter seiner Kinder--alles in einer Person--zu sein! Fragen Sie Prossi und Marie, wieviel Arbeit das Haus gibt, selbst wenn wir keine Besucher haben, die uns helfen Zwiebeln schneiden. Fragen Sie die Geschaeftsleute, die Jakob stoeren und seine prachtvollen Predigten gefaehrden wollen, wer es ist, der sie abschuettelt! Wenn Geld zu geben ist, so gibt er es; wenn Geld zu verweigern ist, so verweigere ich es. Ich habe ihm ein Schloss von Behaglichkeit, Nachsicht und Liebe erbaut und stehe immer Schildwache davor, um all den taeglichen kleinen Lebenssorgen den Eintritt zu verwehren. Ich mache ihn hier zum Herrn, obwohl er es nicht weiss und Ihnen vor einem Augenblicke nicht sagen konnte, wie er dazu gekommen ist, es zu sein. (Mit suesser Ironie:) Und als er dachte, ich koennte mit Ihnen fortgehen, da war seine einzige Sorge, was aus mir werden wuerde; und um mich zum Bleiben zu bewegen, bot er mir-- (sie neigt sich vor und streicht ihm bei jedem Satze ueber das Haar) seine Kraft zu meinem Schutze, seine Arbeit fuer meinen Unterhalt, seine Stellung fuer meine Wuerde, seine (zoegernd:) ah, ich verwechsle deine wunderschoenen Saetze und verderbe sie, nicht wahr, Liebling? (Morell kniet ganz ueberwaeltigt neben ihren Stuhl und umschlingt sie mit knabenhafter Leidenschaft:) Alles ist wahr, jedes Wort. Was ich bin, hast du aus mir gemacht, durch die Arbeit deiner Haende und die Liebe deines Herzens. Du bist mein Weib, meine Mutter, meine Schwester,--du bist die Summe aller Liebessorgen fuer mich. (Candida in seinen Armen, laechelnd zu Marchbanks:) Bin ich Ihnen auch Mutter und Schwester, Eugen? (Marchbanks erhebt sich mit einer heftigen Bewegung des Ekels:) Oh, niemals! Hinaus denn in die Nacht mit mir! (Candida erhebt sich rasch und unterbricht ihn:) sie werden nicht so von uns gehn, Eugen! (Marchbanks mit dem Tonfall eines entschlossenen Mannes, nicht mit der Stimme eines Knaben:) Ich weiss, wann die Stunde geschlagen hat. Ich bin ungeduldig zu tun, was getan werden muss. (Morell erhebt sich von seinen Knien, beunruhigt:) Candida, lass ihn nichts Uebereiltes begehen! (Candida laechelt Eugen vertrauensvoll an:) Oh, sei unbesorgt, er hat gelernt, ohne Glueck zu leben. (Marchbanks.) Ich ersehne nicht mehr Glueck; das Leben kann Hoeheres bieten. Pastor Jakob, ich gebe Ihnen mein Glueck mit beiden Haenden hin; ich liebe Sie, weil Sie das Herz der Frau, ganz ausgefuellt haben, die ich liebte. Leben Sie wohl! (Er geht zur Tuer.) (Candida.) Ein letztes Wort. (Er haelt inne, aber ohne sich nach ihr umzuwenden.) Wie alt sind Sie, Eugen? (Marchbanks.) Jetzt bin ich so alt wie die Welt. Heute morgen war ich achtzehn Jahre! (Candida geht zu ihm hin und steht hinter ihm, eine Hand liebkosend auf seiner Schulter:) Achtzehn... Wollen Sie mir zuliebe ein kleines Gedicht aus zwei Zeilen machen, die ich Ihnen sagen will? Und wollen Sie mir versprechen, sich's immer vorzusagen, so oft Sie an mich denken. (Marchbanks ohne sich zu ruehren:) Sagen Sie die beiden Zeilen. (Candida.) Wenn ich dreissig sein werde, dann wird sie fuenfundvierzig sein; wenn ich sechzig sein werde, dann wird sie fuenfundsiebzig sein. (Marchbanks wendet sich nach ihr um:) In hundert Jahren werden wir gleich alt sein! Aber ich trage ein besseres Geheimnis als das in meinem Herzen! Lassen Sie mich jetzt gehen, die Nacht waechst draussen ungeduldig. (Candida.) Leben Sie wohl! (Sie nimmt sein Gesicht in die Haende, und da er ihre Absicht erraet und sein Knie beugt, kuesst sie ihn auf die Stirne, dann flieht er hinaus in die Nacht.--Sie wendet sich zu Morell, mit ausgebreiteten Armen:) O Jakob! (Sie umarmen einander. Aber das Geheimnis in des Dichters Herzen, das kennen sie nicht.) (Vorhang) Ende dieses Projekt Gutenberg Etextes CANDIDA, von George Bernard Shaw. *** END OF THE PROJECT GUTENBERG EBOOK, CANDIDA *** This file should be named 7cndg10.txt or 7cndg10.zip Corrected EDITIONS of our eBooks get a new NUMBER, 7cndg11.txt VERSIONS based on separate sources get new LETTER, 7cndg10a.txt Project Gutenberg eBooks are often created from several printed editions, all of which are confirmed as Public Domain in the US unless a copyright notice is included. Thus, we usually do not keep eBooks in compliance with any particular paper edition. We are now trying to release all our eBooks one year in advance of the official release dates, leaving time for better editing. Please be encouraged to tell us about any error or corrections, even years after the official publication date. Please note neither this listing nor its contents are final til midnight of the last day of the month of any such announcement. 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If the value per text is nominally estimated at one dollar then we produce $2 million dollars per hour in 2002 as we release over 100 new text files per month: 1240 more eBooks in 2001 for a total of 4000+ We are already on our way to trying for 2000 more eBooks in 2002 If they reach just 1-2% of the world's population then the total will reach over half a trillion eBooks given away by year's end. The Goal of Project Gutenberg is to Give Away 1 Trillion eBooks! This is ten thousand titles each to one hundred million readers, which is only about 4% of the present number of computer users. 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